Auf der Suche nach der Aktualität des politischen Erbes einer Kanzlerlegende: "Was würde ein Kreisky heute neu, was würde er anders machen?" - Stillleben im Ministerbüro von Doris Bures.

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Ja natürlich: Kreisky ist in vieler Hinsicht nicht wiederholbar. Das war eine Ära des ge- sellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Auf- und Nachholens. Man konnte vernünftiger Weise damit rechnen, dass die Zukunft weitaus besser als die Vergangenheit sein wird. Und unter solchen Vorzeichen gedeihen Gestaltungswillen und Solidarität. Warum soll ich nicht eine wenig von meinem Wohlstand teilen, wenn es wenn ich für meinen Zukunft nichts zu fürchten, und alles zu erwarten habe?

Jetzt ist Österreich ziemlich weit oben angelangt - der neunt-reichste Staat der Welt!. Aber das schafft nicht Zufriedenheit sondern Furcht. Sowohl für den Einzelnen wie auch für den Staat scheint der weitere Weg nach oben blockiert. Es herrscht Zukunftsangst und man blickt misstrauisch auf alle, die einem etwas wegnehmen könnten.

Vor 40 Jahren war auch das Versprechen attraktiv, Österreich "europareif" zu machen. Heute sind die meisten der europäischen Partner für uns keine nachahmenswerte Vorbilder. Wir sehen in ihnen Pfründner, welche von den österreichischen Nettozahlern zehren. Würde er heute die politische Szene betreten, hätte es Kreisky also sicher schwerer, die Wähler mit einladenden Zukunftsvisionen zu motivieren.

Und dennoch gibt es diese Kreisky-Nostalgie. Hinter ihr versteckt sich die Hoffnung, dass es wieder einen Politiker geben könnte, der es versteht, den Menschen Selbst- und Zukunftsvertrauen zu geben, und der Glaube an die Gestaltungskraft von charismatischen politischen Persönlichkeiten. Es versteckt sich dahinter auch das - möglicherweise nur dumpfe - Bewusstsein, dass die Situation der späten Sechzigerjahre trotz aller Differenzen in Vielem jener ähnelt, in der wir uns zur Zeit befinden.

Hoffnungen mobilisieren

Eine Ära raschen Wirtschaftswachstums war damals zu Ende gegangen. Auch nach dem Ende der großen Koalition und trotz der Reformversuche des konservativen Kanzlers Josef Klaus blieb das politische System blockiert. Die Zeit war reif für jemanden, der glaubhaft die Fähigkeit besaß, die politisch-gesellschaftliche Blockade zu brechen; jemand der politisch reüssieren konnte, obwohl er nicht Ängste, sondern weil er Hoffnungen mobilisiert hat.

Geben wir uns also den Träumen hin, uns stellen wir uns vor, ein neuer Kreisky, eine Reinkarnation von Kreisky, würde heute die politische Szene betreten. Was würde er neu, was würde er anders machen?

Kreisky's Wirtschaftspolitik war stark von den Lehren geprägt, die er aus der großen Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre gezogen hatte. Er hätte, so wie der jetzige Bundeskanzler, darauf gedrängt, durch Staatsausgaben die eingetretene Nachfrageschwäche zu kompensieren. Aber entgegen landläufigen Zuschreibungen war er kein unreflektierter "Keynsianer". Er hätte staatliche Interventionen auch zur langfristigen Stärkung der Angebotsseite genutzt, um die Volkswirtschaft weiter zu entwickeln. Dabei würde aber nicht bloß in die materielle Infrastruktur investiert, sondern weit mehr in die für die Zukunft maßgeblichen Produktionsfaktoren Bildung und Forschung. Als zukunftsgestaltendes Instrument der Wirtschaftspolitik würde ein "neuer Kreisky" auch die ÖIAG nutzen statt ihr die bloße Rolle zuzuweisen, Renditen zur Aufbesserung des Budgets zu liefern.

Und was tun gegen die wachsende Ungleichheit in den Einkommen; und woher das Geld nehmen, das längerfristig für die erhöhten Staatsaufgaben aufgebracht werden müsste? Mehr Einkommensgerechtigkeit würde „ein neuer Kreisky", wahrscheinlich - so wie das auch in den Siebzigerjahren geschehen ist - in erster Linie durch gezielte staatliche Sozial- und Transferleistungen herstellen. Wobei die vermehrte Belastung von Reichtum und Finanzkapital diskret von statten ginge - in einer Weise also, die nicht als Frontalangriff gewertet werden könnte.

Angesichts der Tatsache, dass infolge der weltweiten Vernetzung ein mittelgroßer Staat wie Österreich alleine nicht in der Lage wäre, Maßgebliches zu bewegen, würde "ein neuer Kreisky" - nicht bloß in seiner Wirtschaftpolitik - stark auf die europäische Karte setzen. Er wäre ein Vorkämpfer für ein starkes und handlungsfähiges Europa. Partner dabei wären europäische Politiker mit ähnlichem Ehrgeiz - wie vor allem der französische Präsident Sarkozy oder der luxemburgische Ministerpräsident Juncker.

Diese Schiene würde er auch weitestmöglich nutzen, um seine anderen außenpolitischen Vorstellungen durchzusetzen. Die Befürchtungen des "alten Kreisky" über die aus dem Nahen Osten drohenden Gefahren haben sich ja mittlerweile bewahrheitet. Afghanistan, Iran, Irak, Syrien, der Libanon, Palästina, Israel, Ägypten sind zu einer einzigen Krisenregion zusammengewachsen, in der sich die arabisch-islamischen Gesellschaften Europa zunehmend entfremden. Es ist zwar fraglich, ob ein "neuer Kreisky" im israelisch-palästinensischen Konflikt noch einmal Vorreiter für eine "Zwei- Staaten-Lösung" sein wollte. Gewiss aber würde er das öffentlich propagieren, was hinter vorgehaltener Hand ohnehin längst empfohlen wird: Gespräche mit Hamas und Hisbollah.

Ohne eine - zumindest stillschweigende - amerikanische Unterstützung blieben solche Vorstöße aber natürlich folgenlos. Wie ja überhaupt auch manches andere - wie etwa die Neuaufstellung des Weltfinanzsystems - nur in Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika erfolgreich sein kann. Ein "neuer Kreisky" wäre also häufiger Gast in Washington, und würde eine Gesprächsbasis dort auch dann suchen, wenn die Konservativen wieder an die Macht kämen. Das Verhältnis zu Russland wäre realistisch, abgestellt auf das jeweils höchstmögliche Maß konstruktiver Zusammenarbeit. Die Vereinten Nationen würden voll genützt und unterstützt - nicht zuletzt auch mit dem Ziel, deren Wiener Standort aufzuwerten.

Kurz - ein "neuer Bruno Kreisky" würde trachten, durch eine aktive Außenpolitik jenen Gestaltungsspielraum zurückzugewinnen, welchen Österreich dadurch verloren hat, dass mit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes seine Neutralitätspolitik funktionslos geworden ist. Sicherheitspolitisch würde ein "neuer Kreisky" den alten darin bestätigen, dass eine gute Außenpolitik die beste Sicherheitspolitik ist; wie er denn überhaupt die schon ablaufende Gewichtsverschiebung guthieße, die weg vom Militärischen führt und hin zur Abwehr von nicht-militärischen Bedrohungen. Ob ihm das allerdings den Ersatz des Milizheeres durch ein Berufsheer schmackhaft machen würde? Wäre der "neue Kreisky" so wie der "Alte" vermutlich kaum.

Stark unterbelichtet ist der Beitrag des historischen Kreisky zur Verwaltungsreform. Wichtig war ihm die Aus- und laufende Weiterbildung von Beamten - etwa in der neu gegründeten Verwaltungsakademie, der Diplomatischen Akademie etc. Höhere Qualität und höheres Vertrauen der Öffentlichkeit sollte auch durch die Zurückdrängung des Proporzes geschaffen werden. Sichtbar gemacht wurde das durch die Besetzung von Führungsposition durch parteiunabhängige Personen wie etwa den Verteidigungsminister; oder den Chef der Verstaatlichten Industrie.

Mitbestimmung ausbauen

Auch vermehrte Transparenz - etwa durch öffentliche Akteneinsicht, Auskunftspflicht und Ombudsmänner hat die Qualität staatlicher Abläufe erhöht und auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatliche Verwaltung gestärkt. Ein "neuer Kreisky" würde also wieder dort ansetzen und versuchen, den Niedergang in Ansehen und Qualität umzukehren, den die staatliche Verwaltung in den letzten Jahrzehnten hinnehmen musste. Dazu würden zunächst einmal die ins Übermaß aufgeblähten persönlichen Kabinette der Regierungsmitglieder zurückgestutzt. Und er würde wohl auch dafür sorgen, dass sogenannte "Objektivierungsmaßnahmen" bei Ernennungen im staatlichem und im staatsnahen Bereich nicht bloße Spiegelfechtereien zur Camouflage von Günstlingswirtschaft sind.

Komplexe Entscheidungen würden wieder in anerkannter Expertise abgesichert. Die Diskussionen in solchen breit angelegten und auch international besetzten Gremien von Experten wären aber öffentlich, somit nachvollziehbar und zugleich als Chance für vermehrte Mitbestimmung durch die Betroffenen zu nutzen um "alle Bereiche der Verwaltung mit Demokratie zu durchfluten. Zurzeit geht der Trend ja leider in die Gegenrichtung, indem demokratische Mitbestimmung teilweise sogar zurückgestutzt wird - etwa durch die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre oder dadurch, dass man die Größe der gewählten Landtage beschneiden will.

Dieses "Darüber-Hinwegwischen" ist Symptom dafür , dass Politik zum Selbstzweck wurde; zu einer Veranstaltung von selbstreferenziellen, von der übrigen Bevölkerung abgeschotteten Parteiapparaten, denen es in erste Linie um Macherhaltung geht; und in zweiter Linie um die Befriedigung der engeren Klientel; nicht aber um das Gemeinwohl; und schon gar nicht um die Zukunft.

Ein neuer Kreisky würde nach einer viel breiteren politischen Basis suchen und Menschen aus parteifernen Schichten einladen "ein Stück des Weges mit ihm zu gehen" und zwar nicht bloß als nachhumpelnde Gefolgschaft sondern als aktive Mitgestalter.

Und natürlich wäre auch der "neue Kreisky" wieder Medienkanzler. Der jetzige Bundeskanzler und Parteivorsitzende ist es zwar auch. Aber er ist es, indem er den Vorgaben der Medien folgt; indem er den Medien gestattet, ihn zu benutzen. Ein "neuer Kreisky" würde umgekehrt versuchen, die Medien für seine Politik zu interessieren und zu nutzen. Sein Ehrgeiz wäre es, vor allen die Unabhängigsten, Kritischsten und Intelligentesten von seiner Politik zu überzeugen. Hier wie in anderen Bereichen würde er sich nicht scheuen, Rationalität, Intelligenz und Exzellenz vorauszusetzen und zu fordern. (DER STANDARD-Printausgabe, 8./9.1.2011)