Dreidimensionale Rekonstruktion des fossilen Fächerflügler-Männchens: Der Dickdarm ist grün, die Muskulatur rot, das Nervensystem gelb dargestellt.

Foto: Hans Pohl/FSU

Jena - Bernstein-Einschlüsse sind wie Momentaufnahmen aus vergangenen Zeitaltern. Wie im Fall einer Inkluse, die ein männliches Insekt während seines Hochzeitsflugs vor 42 Millionen Jahren für die Ewigkeit konservierte. Das Fächerflügler-Männchen hatte nur noch wenige Stunden vor sich - doch just da blieb das blattlausgroße Tierchen aus der Gattung Mengea an einem Tropfen Baumharz kleben.

"Einen absoluten Glücksfall" nennt Hans Pohl von der Friedrich-Schiller-Universität Jena das Fundstück. Der Insektenforscher vom Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie hat gemeinsam mit Kollegen aus Jena, Hamburg und New York das fossile Insekt jetzt mittels Mikro-Computertomographie-Aufnahmen naturgetreu rekonstruiert. Und nicht nur dessen Äußeres: "Die Mikro-CT erlaubt vor allem auch Einblicke in die inneren Strukturen des Tieres", hebt Pohl hervor. Anders als bei versteinerten Fossilien, bei denen innere Organe durch den Versteinerungsprozess unter hohem Druck zerstört werden, bleibt das Gewebe in Bernstein manchmal weitestgehend intakt.

Alles auf eine Aufgabe ausgerichtet

Etwa 80 Prozent der inneren Gewebestrukturen des fossilen Fächerflüglers sind hervorragend erhalten; das hat die Auswertung der Mikro-CT-Daten jetzt ergeben. Muskulatur, Gehirn und Nervengewebe, Sinnesorgane, Verdauungs- und Fortpflanzungsapparat des Insekts lassen sich klar erkennen.  "Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse für die stammesgeschichtliche Einordnung dieser Insekten gewinnen", erläutert Rolf Beutel von der Uni Jena. Bis heute gibt die Ordnung der Fächerflügler (Strepsiptera) den Forschern viele Rätsel auf: "Die Weibchen dieser merkwürdigen Tiere lebten fast durchweg endoparasitisch, also innerhalb von Wirtstieren", so Beutel. Allerdings seien die Weibchen der untersuchten Spezies freilebend gewesen. Dies schließen die Jenaer Forscher aus der Form der äußeren Genitalien des Mengea-Männchens. So haben die Männchen von Arten mit endoparasitisch lebenden Weibchen immer einen ankerförmigen Penis. "Das Männchen braucht Halt, sollte sich das Wirtstier - etwa eine Zikade - während der Paarung fortbewegen." Einen solchen "Anker" fanden die Forscher bei dem untersuchten Bernstein-Exemplar jedoch nicht.

Die Jenaer Insektenforscher konnten außerdem den Platz der Mengea-Fächerflügler innerhalb des Stammbaumes der Insekten bestätigen. "Es handelt sich um 'primitive' Vorgänger der heute existierenden Arten", so Pohl. Einzige Aufgabe der Männchen sei es gewesen, innerhalb ihrer kurzen Lebensspanne ein Weibchen zu finden und sich fortzupflanzen. "Dies spiegelt sich deutlich in ihrer Anatomie wider", sagt der Insektenforscher. So verfügte das Insekt über leistungsfähige, hochspezialisierte Sinnesorgane an seinen geweihförmigen Antennen, um möglichst schnell ein Weibchen aufzuspüren. Auch die Flugmuskulatur war extrem gut ausgeprägt. Die Mundwerkzeuge und der Verdauungstrakt sind dagegen im Vergleich zu anderen Insekten deutlich zurückgebildet. "Diese Tiere waren nicht in der Lage, feste Nahrung aufzunehmen und zu verdauen", schlussfolgert Beutel. Die Jenaer Insektenforscher wollen nun mit der Mikro-CT auch andere Bernstein-Inklusen durchleuchten. (red)