Die erste große Schulreform der österreichischen Geschichte stammt aus der Zeit Maria Theresias - die Einführung der achtjährigen Schulpflicht als Konsequenz aus der Niederlage in der Schlacht von Königgrätz: Zu viele Analphabeten unter den Soldaten.

Die zweite tiefgreifende Reform datiert aus dem Jahre 1919 - initiiert vom Wiener Sozialisten Otto Glöckel, der die damals übliche Ganztagsschule auf den Vormittag reduzierte. Nicht jedoch, um die Kinder am Nachmittag den Eltern zurückzugeben (noch immer geltende ÖVP-Position), sondern um Zeit zu schaffen für eine Begabtenförderung.

Eine dritte umfassende Schulreform steht aus, obwohl Österreich die Schlachten des Bildungs- und Informationszeitalters bereits mehrmals verloren hat. Die Pisa-Studien werden von Finnland und Südkorea gewonnen.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Bruno Kreisky ist anzumerken, dass der Alleinregierer sicher auch das angepackt hätte - wahrscheinlich mit dem Resultat einer heftig umkämpften Gesamtschule. Es ging nicht, weil damals fast jede Änderung in den Schulen an eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat gebunden war.

Die SPÖ ist heute nur noch ein Schatten der Reformpartei von damals - immerhin aber mit einer Ressortchefin, die das Konzept der Neuen Mittelschule (des VP-Dissidenten Bernd Schilcher) erfolgreich durchgesetzt hat. Auch gegen die eigenen Gewerkschafter.

In der ÖVP kann man zwar Konzepte entwerfen, aber bei der Realisierung geht nichts ohne Fritz Neugebauer, den Chef des Gewerkschaftsflügels. Das heißt, die Neue Mittelschule ist flächendeckend nicht mehr als eine Absicht.

Die Tragik der Volkspartei ist, dass sie sich von der "eigenen" Gewerkschaft nie lösen konnte. Wenn Wolfgang Schüssel im Sinne Margaret Thatchers die Macht der Gewerkschaften (und damit auch die der Sozialpartnerschaft) brechen wollte, dann ging es immer nur um die SPÖ-dominierten Teilorganisationen des ÖGB. Der angebliche Reformkanzler ist in diesem Punkt völlig gescheitert. Sein Nachfolger Josef Pröll probiert es nicht einmal mehr. In der ZiB 2 am Freitag wurde erneut sehr klar: Pröll will Neugebauer nicht nähertreten. In Schulfragen ist er der Parteichef, nicht Pröll.

Dazu kommen alte ideologische Fixierungen. Auch das neue Konzept hält daran fest, dass die Eltern schon früh, wenn die Kinder zehn Jahre alt sind, deren Berufslaufbahn vorbestimmen. Das ist gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das ist die Krux, warum die ÖVP in der Steinzeit verharrt.

Diese Partei hat sich in den letzten Jahrzehnten (von Ausnahmefiguren abgesehen, die man schnell an den Rand gedrängt hat) weder den pädagogischen Entwicklungen gestellt, noch den Wissensmodellen der Wirtschaft angenähert. Sie ist jene kleinbürgerliche Partei geblieben, die sie im Kern immer war. Dem Alten verhaftet, dem Neuen gegenüber misstrauisch. Reform nie substanziell, sondern immer als Wählerkosmetik.

Die sozialistischen Traditionen "ihrer" Gewerkschaft bleiben unangetastet: Die Funktionäre bestimmen den Kurs, am Erreichten wird nicht gerüttelt, Widerspruch ist nicht vorgesehen.(Gerfried Sperl, DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2011)