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Stimmung im Keller: Der pensionierte Maurer (Wolfgang Kraßnitzer) und die abgehalfterte Sängerin (Helga Papouschek) wachen über den schlafenden Herbert (Jan Nikolaus Cerha).
Angekündigte Skandale finden nicht statt. Und Dialoge erlangen keine Tiefe, nur weil sie im Keller spielen. Peter Turrinis Auftragswerk für das Stadttheater Klagenfurt, "Silvester", beweist das in Josef E. Köpplingers Regie.
Klagenfurt – Es beginnt vielversprechend: Schneegestöber füllt den leeren Bühnenraum, während sich langsam von hinten ein beleuchteter, vermeintlich warmer Raum nach vorne schiebt. Solange, bis die Kanten zwischen dem Guckkasten (Bühne: Julia Müer) mit dem äußeren Bühnenrand abgedichtet sind und man erkennt, dass die Kälte drinnen bitterer ist als jene draußen.
Hier haust der von seiner geprügelten Frau, den Kindern und so ziemlich allen guten Geistern verlassene pensionierte Maurer, Leopold Waller (Wolfgang Kraßnitzer), im Keller seines ewigen Rohbaus. Der Silvesterstadl läuft im Fernsehen, eine Fototapete zeigt eine rissige Palmen-Idylle und am Tisch stehen zwei Sektgläser bereit. Der Mann trägt sich, warum bleibt unklar, Clownschminke auf und wartet auf seinen Gast. Eine alternde Operettensängerin (Helga Papouschek) von der Agentur "Stars von einst und heute" hat er wieder abbestellt. Denn das Angebot, den Abend mit einem Klienten der Caritas, einem jungen Mann, der laut Betreuer (Arthur Klemt) "normal behindert" ist, zu verbringen, erscheint ihm verlockender. Doch der Mann im Tiger-Tanga (Kostüme Dritan Kosovrasti) will mit Herbert nicht nur im familiären Rahmen der Pummerin lauschen. Herbert (Jan Nikolaus Cerha) betritt vorerst wortkarg die Szene, bevor er wegen der Annäherungen des Pensionisten, der sich in Löffelstellung einsam und impotent hinter ihn legt, in Panik verfällt. Nur seine plüschige Biene Maja beruhigt ihn.
Schließlich kommt auch noch die stornierte Künstlerin, Ruth Maria Lippe, vorbei, singt und fordert ihre Gage. Nachdem sie von Leopold geschlagen und von Herbert verteidigt wird, geht alles schnell: Die Frau, die meint, sie brauche keinen Mann, da sie ein iPhone habe (Achtung: Kritik an moderner Kommunikationsarmut!), droht mit der Polizei. Doch dann formiert sie sich mit den Männern zu einer "Heiligen Familie", in der Herbert gerne das Jesulein spielt. Am Ende spielen alle Flaschendrehen, da sich die Alten doch noch einen erotischen Traum verwirklichen wollen.
Kraßnitzer und Papouschek geben ihre schablonenhaften Charaktere routiniert in Köpplingers Setting für einen Schwank. Cerha hingegen spielt den jungen Mann mit Zwangshandlungen einfühlsam und stellt ihn nie bloß. Doch auch er erntet am Premierenabend am Samstag kernige Lacher. Mit zitternder Stimme singt er Karel Gotts Titellied der Biene Maja In einem unbekannten Land.
Tiefliegendes Gebirge
Und wirklich: Man fragt sich, unter welchem Land der Keller eigentlich liegt. Einerseits wird vom mühsamen Aufstieg auf den Berg erzählt, dann fallen Großstadtgangs mit schwulenfeindlichen Parolen ein, und Leopold erwähnt Männerbekanntschaften im Rathauspark – also ein Berg in Wien?
Jedenfalls fand man auf Österreichs Bühnen – auch lange vor Amstetten und Strasshof – Untergeschoße, wo Missbrauch tiefgründiger und beißender analysiert wurde: Man denke nur an Hermann Wurm und Mutter in Werner Schwabs Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos.
Turrini stellte vor der Premiere fest, es ginge weniger um Missbrauch als darum, Täter zu zeigen, die Opfer sind. Das sind sie zweifellos. Doch in den vordergründigen Sagern dieser Dialoge kommt das weder als Weisheit noch als Provokation durch. Die Figuren, über deren Schicksale man im Programmheft mehr erfährt als auf der Bühne, erregen wenig Mitleid und keine Empörung. Für Letztere sorgt nur ein nackt duschender Herbert: Einige Damen verließen ob so viel Haut sogar das Theater.
Zurück bleiben drei Menschen, die trotz Seelenstriptease am Ende im Vergleich zu den Außenseiterpaaren in Josef und Maria und Rozznjogd blutleer sind. Ihr Lohn: Standing Ovations und ein lachender Landeshauptmann. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD – Printausgabe, 10. Jänner 2011)