
Alfred Noll: "Abnehmende Anwesenheit. Ein Pamphlet zur Kunstrückgabe in Österreich" . 72 S. / € 15,-. Czernin Verlag, Wien 2011
Wien - Monatelang war Alfred Noll kein Kommentar zu den Entscheidungen der Rückgabekommission zu entlocken. Nun hat der Anwalt sein Schweigen gebrochen: Er brachte beim Czernin Verlag das Buch Abnehmende Anwesenheit heraus. Ein Pamphlet, wie im Untertitel angekündigt, ist es aber nicht: Auf Restitution spezialisiert, weiß Noll nur zu gut, dass er es sich mit niemandem verscherzen darf, auch nicht mit der Israelitischen Kultusgemeinde. Wirklich polemisch oder untergriffig wird Noll daher nie.
In zwei Fällen (zu Klimts Mohnwiese und Schieles Mutter mit zwei Kindern III) hatte er im letzten Jahr Niederlagen einstecken müssen. Noll schreibt sich daher den Frust von der Seele. Und er hält ein Plädoyer: Er legt seine Argumente dar, die, wie er meint, "die besseren" seien. Denn der Rückgabebeirat hat keine Verpflichtung, die Opfer (bzw. deren Vertreter) anzuhören. Und er tat es auch nicht, obwohl es sich in den beiden Fällen um die letzten noch lebenden Zeitzeugen handelt.
Zudem erledigte die Bürokratie im Fall Mohnwiese "mit einem Federstrich" , was dem NS-Regime nicht gelungen war: Sie löschte die Existenz des jüdischen Flüchtlings Emile Zuckerkandl aus, der 87-jährig in Palo Alto lebt. Denn laut einer Veröffentlichung des Kulturministeriums empfahl der Beirat, das Bild nicht "an die Erben nach Emile Zuckerkandl" zurückzugeben: Auf den Gedanken, "dass ein Nazi-Opfer aus Fleisch und Blut noch unter den Lebenden" weilen könne, schien man, so Nolls Mutmaßung, gar nicht gekommen zu sein.
Dieser Vorfall, für den man sich entschuldigte, ist symptomatisch für den Umgang mit den Opfern. Erinnert sei nur daran, welch rüden Ton die ehemalige Kulturministerin Elisabeth Gehrer an den Tag legte, als Maria Altmann die Goldene Adele zurückforderte.
Der herablassende Umgang manifestiert sich für Alfred Noll am stärksten im Rückgabegesetz, da es keinen Rechtsanspruch gibt:Die Minister werden lediglich zur Rückgabe ermächtigt."Wird von dieser Ermächtigung kein Gebrauch gemacht, gibt es gegen eine derartige ablehnende Entscheidung auch kein Rechtsmittel" , so Noll. "Die Entscheidung kann also nicht überprüft werden und bleibt politische Willkür." Die "Gnade der Restitution" sei ein "Vorrecht des Mächtigsten" - frei nach dem Motto:"Wir bestimmen immer noch über dich!"
Am meisten erzürnt den Anwalt der Rückgabebeirat. Denn in diesem sind "die Vertreter der Ministerien versammelt, die cum grano salis in eigener Sache" entscheiden würden. Eine Empfehlung dieses Gremiums ist nicht überprüfbar, man kann sich auch an keine höhere Instanz wenden. Damit käme dem Beirat "die ausschließliche Macht zu, unanfechtbare Rechtswirkung zu erzeugen". Man nenne dies "Autokratie".
Dennoch habe es fast den Anschein, "als erwarte die Republik Österreich die Dankbarkeit der Juden für das bisher Geleistete in Form von Stillschweigen gegenüber der fragwürdigen politischen Praxis" . Noll aber kuscht nicht: Die personelle Zusammensetzung des Rückgabebeirats sei ein Skandal:Die Sachwalter des Republikvermögens müssten durch unabhängige Experten ersetzt werden.
Dass sich etwas ändern werde, glaubt Alfred Noll jedoch nicht: Es fehle an politischem Willen - und es sei eben bequemer, "auch in Hinkunft Gnade vor Recht walten zu lassen". (Thomas Trenkler, DER STANDARD - 10. Jänner 2011)