Antoine de Léocur und Vincent Delory, zwei 25-jährige Franzosen, dinierten am Freitagabend in einem Restaurant der nigerischen Hauptstadt Niamey, als vier Männer mit Turbanen hereinstürzten und sie unter Waffendrohung in einem Geländewagen verschleppten. Einen Tag später lokalisierte die Armee Nigers die Entführer, Mitglieder des nordafrikanischen Arms von Al-Kaida. "In der Region anwesende französische Truppenelemente" , wie sich Frankreichs Verteidigungsminister Alain Juppé ausdrückte, nahmen die Verfolgung auf. Beim anschließenden Schusswechsel wurden mehrere Terroristen getötet und zwei französische Elitesoldaten verletzt. Die beiden Entführten kamen unter ungeklärten Umständen ums Leben.

Die gescheiterte Befreiungsaktion weckt Erinnerungen an einen Franzosen, der vor einem Jahr in der gleichen Grenzregion zwischen Sahel und Sahara entführt worden war. Er wurde nach dem Einsatz mauretanischer und französischer Soldaten tot aufgefunden.

Staatspräsident Nicolas Sarkozy verurteilte den vermuteten Mord an den beiden Franzosen als "barbarisch und feig" . Die offizielle Reaktion verbirgt eine zunehmende Ohnmacht und Verlegenheit gegenüber antifranzösischen Anschlägen. In der Südsahara sind nach wie vor fünf entführte Franzosen in der Hand des Al-Kaida-Ablegers Aqmi. Sie arbeiteten in Niger in einer Uranmine des Atomkonzerns Areva. Am Mittwoch war vor der französischen Botschaft in Malis Hauptstadt Bamako ein Sprengsatz explodiert.

Laut Pierre Boilley vom Pariser Zentrum für die afrikanische Welt werden erstmals direkt französische Interessen in westafrikanischen Hauptstädten angegriffen. In Niger leben 1600 Franzosen, in Mali 4300. Im Restaurant "Le Toulousain", von wo die jüngste Entführung ausging, meinte ein Stammgast: "Der Hass auf die Franzosen steigt in der ganzen Sahelzone in einem gefährlichen Maß."

Vom Uranabbau in der Wüste bis zu den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste - wo 12.000 Franzosen leben - sorgt sich die einstige Kolonialmacht um ihre Wirtschaftsinteressen. Sie gehen häufig einher mit verdeckten politischen Beziehungen. Wikileaks enthüllte unlängst Berichte von US- Diplomaten, wonach die gabunesische Herrscherfamilie Bongo französische Parteien und Politiker, unter ihnen Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, mit Geldgeschenken bedacht habe. Der aktuelle Machtkampf in Côte d'Ivoire wird ebenfalls von starken französischen Einflüssen überschattet.

Unruhen: Paris schweigt

Ähnlich verhält sich Paris in Tunesien und Algerien, wo Wirtschaftsmisere und Repression schwere Unruhen bewirkt haben. Neun Demonstranten sollen in den letzten Tagen in Tunesien gestorben sein. Staatschef Zine El Abidine Ben Ali setzte am Wochenende erstmals die Armee ein.

Sarkozy schweigt dazu aber ebenso hartnäckig wie zu den Verhaftungen tunesischer Internetblogger in Tunis. "Frankreich, das Menschenrechtsverstöße in der Welt sonst sehr prompt verurteilt, unterstützt wie üblich den tunesischen Herrscher Ben Ali", kritisiert Souhayr Belhassen von der Internationalen Menschenrechtsliga. Karim Pakzad vom internationalen Strategie-Institut Iris nennt noch einen weiteren Grund für die stillschweigende Tolerierung der Polizeirepression in Tunis und Algier: "Frankreich befürchtet ein Überschwappen der Proteste auf die Immigranten in seinen Vorstädten." (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2011)