Carpentras, Frankreich, 1367 (Foto 1999)

Foto: Peter Seidl

Bischheim, Frankreich, ca. 1800 (Foto 1999)

Foto: Peter Seidl

Nicht die körperliche Unreinheit beseitigen, sondern die Seele rein waschen von Lastern und Sünden - diese Tradition findet sich in vielerlei Religionen. Im Christentum etwa stellen der Griff ins kirchliche Weihwasserbecken und die Taufe eine symbolische Reinigung dar, im Islam wird vor jedem Gebet eine Waschung gefordert, im Hinduismus ist die rituelle Säuberung mit Wasser tägliche Pflicht des Gläubigen. Auch im Judentum steht das rituelle Tauchbad, die Mikwe, als Sinnbild für Reinheit.

Schönheit ruinöser Schächte

Peter Seidel, Fotograf aus Frankfurt am Main, realisiert seit einigen Jahren immer wieder konzeptionell-dokumentarische Projekte. An eine seiner letzten Arbeiten, "Unterwelten - Orte im Verborgenen", knüpft die Mikwe-Serie wie als selbstverständliche Fortsetzung an. Seit 1986 dokumentiert Seidel jüdische Ritualbäder in Europa. Vor allem Reisen innerhalb Deutschlands, aber auch Besuche in Spanien, Frankreich, Italien und im österreichischen Hohenems führten ihn zu archäologischen Ausgrabungen antiker Mikwen wie auch zu Bädern der Gegenwart.

Die im strahlend weiß gekalkten Museumsgewölbe gezeigten Fotos sind stille und geheimnisvolle Dokumente einer jüdischen Tradition. Wie moderne Diapositive werden die Bilder von hinten beleuchtet und üben mit ihrer schwarzen Einrahmung eine ganz besondere Wirkung auf ihre Betrachter aus: Die meist ruinösen, feuchten und eiskalten, verliesartigen Schächte glänzen förmlich in Einklang mit dem Farbenspiel des Wassers und strahlen eine anmutige Schönheit aus. Eine Schönheit, die wohl mit der Realität der eiskalten Tauchgänge, die meist von Frauen begangen werden mussten, wenig zu tun haben.

"Höhlen des Schreckens"

In der Spätantike bis ins Mittelalter fand sich das Mikwe hauptsächlich im Verband eines jüdischen Zentrums, einem Gemeindekomplex mit Synagoge, Versammlungsraum und Bäckerei. Meist handelte es sich dabei um eine Grundwasser-Mikwe, einem tief gegrabenen Badeschacht, in dem ständige Frischwasserzufuhr erfolgen konnte. Natürliche Wasserläufe kamen meist nicht als Bad in Frage, da sie durch Abfälle oder Fäkalien verunreinigt waren und so den jüdischen Reinheitsansprüchen widersprachen.

Im auslaufenden Mittelalter wurden die Mikwen zunehmend in die Keller von Privathäuser verlagert, und im Laufe der Zeit verschob sich auch der rituelle Reinheitsbegriff von einer kultischen hin zu einer interpersonalen Ebene. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kamen einher mit medizinischen Errungenschaften zunehmend Hygienevorschriften, die diese "Höhlen des Schreckens" nicht erfüllen konnten. So mussten viele der alten Mikwen neuen beheizbaren Bädern mit sauberem Wasser weichen. Zu dieser Zeit wurde die Mikwe nur mehr von Gläubigen der Orthodoxie benützt, und die Verwendung der Bäder nahm stetig ab, da mehr und mehr Menschen der jüdischen Gemeinden selbst über Wasch-Möglichkeiten in ihrem Privat-Bereich verfügten.

Die Mikwe wurde im täglichen Sprachgebrauch auch "Frauenbad" genannt, was den Besuch von Männern nicht ausschloss, jedoch obligatorisch war das Tauchbad nur für Frauen - etwa nach der Menstruation oder einer Geburt. Diese Diskriminierung der Frauen, die ohne den Besuch der Mikwe als unrein galten, macht die Tradition bis heute sehr umstritten. Ein Anlass sowohl für Männer als auch für Frauen, in der Mikwe unterzutauchen, ist der Übertritt zum Judentum.

Mikwe als Passage

Heute ist die Mikwe längst nicht mehr das, was sie ursprünglich war. Aus den einstigen eiskalten oft kellerähnlichen, spartanischen Badeschluchten wurden Spa-ähnliche Badeanlagen. Vor allem in den USA wurde die Mikwe als Ort für einen Passagenritus neu definiert und wird zum Beispiel nach einer schweren Krankheit, nach einer Scheidung oder aber vor einer Eheschließung benützt, um einen neuen Lebensabschnitt einzuläuten.

Zur Geschichte der Mikwen und den Diskurs darüber kann unter anderem im Ausstellungskatalog ausführlich nachgelesen werden. Die Schau, die als gemeinsames Projekt der Jüdischen Museen in Wien, Hohenems, Frankfurt am Main und Fürth ins Leben gerufen wurde, weihte als erste Wechselausstellung das neu eröffnete Museum Judenplatz in Wien ein und läuft noch bis 27. Februar 2011. Begleitend zur Ausstellung wurde das Internetradio www.radiomikwe.at eingerichtet, das Platz für eine offene, kontroverse Diskussion und Auseinandersetzung zum Thema bietet. (Jasmin Al-Kattib, 10. Jänner 2010, daStandard.at)