Brüssel/Wien – Die Zahlen, die EU-Gesundheitskommissar John Dalli in der Zeitung Die Welt zu Fehlbehandlungen und vermeidbaren Todesfällen in Krankenhäusern publik gemacht hat, sind auf den ersten Blick schockierend und sorgten am Montag für Aufregung: Jede zehnte Behandlung in der EU ende mit einem Schaden für den Patienten. Rund 37.000 Menschen sterben in der Union jedes Jahr an den Folgen einer Infektion, die sie sich in Spitälern durch mangelnde Hygiene geholt haben.

"Die Situation ist alarmierend", erklärte Dalli, mehr als vier Millionen Patienten würden jedes Jahr durch Krankenhauskeime angesteckt. Besonders in Deutschland mangle es an Rechten für die Patienten. Die Behörden müssten endlich dafür sorgen, dass medizinische Behandlungsfehler systematisch erfasst, Klagen erleichtert und Entschädigungen für die Betroffenen sichergestellt werden, sagte Dalli.

Insbesondere bei der Hygiene dürfe nicht gespart werden, trotz knapper Kassen. In Deutschland etwa tritt der Wundkeim MRSA zwanzig Mal so häufig auf wie in den Niederlanden. Und wie ist die Situation in Österreich? "Es sind dies an sich keine neuen Zahlen, auf die Dalli sich bezieht", sagt der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger dem Standard. Bereits vor zwei Jahren habe das deutsche "Aktionsbündnis Patientensicherheit" diese Daten publiziert. "Dalli setzt jetzt einen besonderen Schwerpunkt auf Hygiene", glaubt Bachinger und fügt hinzu: "Es gibt keinen Hinweis, dass es bei uns von den Zahlen her anders wäre. Die Studien basieren auf hochwissenschaftlicher Evidenz."

Dennoch warnt Bachinger, zugleich Sprecher von Österreichs Patientenanwälten, vor Panikmache. "Wir müssen mehr tun bei den Hygienemaßnahmen", sagt er, "aber man muss auch sagen, dass sich in den vergangenen Jahren einiges getan hat an Veränderungen." So sei die "Plattform Patientensicherheit" ins Leben gerufen worden. Die habe erst vor einigen Monaten eine "OP-Check-List" in Umlauf gebracht, anhand derer Chirurgen – ähnlich Piloten – Abläufe genau durchgehen, um Kunstfehler zu vermeiden.

Bachingers Wiener Kollege Konrad Brustbauer betont, dass es – anders als in Deutschland – in jedem Bundesland mittlerweile einen Patientenanwalt gebe, der sich mit Vertrauensärzten um die Qualität in Spitälern kümmere.

Für Niederösterreich, wo es vor Jahren eine heftige Debatte um Kunstfehler gab, konstatiert Bachinger mehrere Musterprojekte. So sei eine OP-Begleitung durch deutsche Experten ebenso eingeführt worden wie ein Simulationszentrum in Grimmenstein, wo Operationen trainiert werden. (Thomas Mayer, DER STANDARD Printausgabe, 11.1.2011)