Der Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien habe nicht nur die Gründung neuer Staaten, sondern auch eine konsequente Zerstörung der politischen Symbole des Sozialismus zugunsten neuer nationaler Sinnbilder bedingt. Diese neue Vergangenheitspolitik finde, so Kuljić, ihren augenscheinlichen Ausdruck im Kalender und der in ihm enthaltenen Auswahl von Feiertagen, "mittels derer sich eine Gesellschaft an periodisch wichtige Ereignisse" erinnere. In allen aus Ex-Jugoslawien hervorgegangenen Staaten habe die Revision des sozialistischen Feiertagskalenders und die damit einhergehende "Einführung eines Korpus neuer Feiertage" nicht nur einen radikalen Bruch mit dem Vergangenen bewirkt.

Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür sind die insgesamt 25 staatlichen Feiertage in Bosnien und Herzegowina. Offiziell begangen werden neben dem 9. Jänner (Tag der Proklamation der Republika Srpska) oder dem 25. November (Unterzeichnung des Daytoner Abkommens) eine Reihe neu eingeführter religiöser Feiertage. Diese hätten, so der Belgrader Soziologe, "eine Reklerikalisierung mit sich gebracht", die Religion sei in den ethnisch heterogenen Nachfolgestaaten somit zum ultimativen Unterscheidungsmerkmal stilisiert worden.

Neuordnung der Erinnerungskultur

Den "symbolischen Ausdruck einer erfundenen Geschichte" ortet Kuljić im Kalender. Durch die darin manifestierte Gedenkpolitik zwinge der Staat dem Kollektiv spezifische Werte auf und bestimme somit die Richtung der politischen Sozialisation. Neu institutionalisierte Feiertage würden "die offizielle, monumentale Vergangenheit" spiegeln. Eine Vergangenheit, die von den jeweiligen politischen (und kulturellen) Eliten erfunden würde, um "Loyalität und Patriotismus zu stärken, staatliche Gewalt zu verschleiern und Expansionen zu rechtfertigen".

Große Bedeutung misst Kuljić dabei dem Einsatz von stark emotionalisierten Geschichtsmetaphern bei. Als eines der bekanntesten Beispiele darf wohl die Schlacht auf dem Amselfeld (1389) gelten.

Erinnerungen an das Verbrechen

Kuljić setzt sich auch mit dem Erinnern an den jugoslawischen Bürgerkrieg auseinander. Das 2007 vom internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gefällte Srebrenica-Urteil* habe die Debatte um die in den jugoslawischen Bürgerkriegen begangenen Kriegsverbrechen in und zwischen den postjugoslawischen Staaten verschärft. Während die Kroaten den "ehrenhaften Charakter ihres ‚Heimatkriegs'" verbissen verteidigen würden, würden die Bosniaken versuchen, "Srebrenica maximal zu politisieren und zu zeigen, dass die Republika Srpska (die serbische Republik in Bosnien und Herzegowina) ein auf einem Genozid aufgebautes Gebilde sei". Die Serben hingegen seien bemüht, "die Beispiellosigkeit des Genozids in Srebrenica herabzumindern", indem sie die Grausamkeiten von Verbrechen der anderen Nationen hervorheben würden. Die hoch politisierte und emotionalisierte Debatte rund um Srebrenica zeigt, dass der "bewaffnete Bürgerkrieg von einem unerbittlichen Bürgerkrieg der Erinnerungen" abgelöst wurde. (Meri Disoski, daStandard.at, 11. Jänner 2011)