Die lockere Geldpolitik der US-Notenbank wird den Euro-Dollar-Kurs heuer auf 1,50 treiben, glaubt Ökonom Jan Hatzius.

Foto: Goldman Sachs

STANDARD: Hat der Aufschwung in den USA nun endlich eingesetzt?

Hatzius: Es geht eindeutig bergauf. Die ersten eineinhalb Jahre der Erholung waren sehr lahm, weil die Entschuldung der privaten Haushalte wie Mehltau auf der Wirtschaft gelegen ist. Aber dort hat es große Fortschritte gegeben, und das sollte uns eine Beschleunigung des Wachstums insbesondere bei der privaten Nachfrage bringen. Wir erwarten für 2011 eine Rate von dreieinhalb Prozent.

STANDARD: Ist das genug, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren?

Hatzius: Es wird sich bemerkbar machen. Aber bis die Arbeitslosenquote auf fünf oder sechs Prozent fällt, wird das Jahre dauern. Ende 2012 erwarten wir immer noch etwas über acht Prozent.

STANDARD: Kann der private Konsum nun wieder steigen, ohne dass erneut die Verschuldung steigt?

Hatzius: Der private Sektor hat derzeit eine sehr, sehr hohe Sparquote. Sein Überschuss steht bei 6,5 Prozent des BIP, 2006 war es ein Defizit von vier Prozent. Wir haben einen enormen Umschwung gesehen, das schafft eine viel bessere Basis für dauerhaftes Wachstum der privaten Nachfrage.

STANDARD: Aber das öffentliche Defizit bleibt sehr hoch. Ist das eine Belastung für die US-Wirtschaft?

Hatzius: Kurzfristig nicht, langfristig muss etwas geschehen. Selbst laut offiziellen Schätzungen steigt der Verschuldungsgrad der öffentlichen Haushalte in den nächsten zehn Jahre immer weiter. Man braucht einen wesentlich besseren Plan zur Haushaltskonsolidierung. Aber der Zeitpunkt dafür ist noch nicht gekommen. Erst muss der Aufschwung auf tragfähigeren Fundamenten stehen.

STANDARD: Und wie soll diese Konsolidierung aussehen? Demokraten und Republikaner haben ganz unterschiedliche Vorstellungen.

Hatzius: Wir brauchen eine Mischung aus Ausgabenkürzungen und höheren Steuern, vor allem einen Schritt in Richtung Verbrauchssteuern. Letztlich muss ein politischer Kompromiss gefunden werden. Ich glaube nicht, dass das in den nächsten zwei Jahre gelingt, danach aber schon.

STANDARD: Also erst nach den nächsten Präsidentenwahlen?

Hatzius: Es wird sehr schwierig sein, bei einer hohen Arbeitslosigkeit eine Einigung für eine Haushaltskonsolidierung zu schaffen.Und 2012 ist ein Wahljahr. 2013 kann man sich viel eher eine Einigung vorstellen.

STANDARD: Zwei Jahre Pattsituation in Washington: Ist das nicht eine schwere Belastung für die Wirtschaft und die Finanzmärkte?

Hatzius: Nicht unbedingt. Wenn sich die Wirtschaft erholt, ist es nicht so schlecht, dass aus Washington relativ wenig kommt. Das Beispiel sind die Neunzigerjahre: In Washington gab es Stillstand, aber die Wirtschaft lief gut.

STANDARD: Kritiker sagen, dass die Deindustrialisierung der USA für einen anhaltenden Aufschwung schon zu weit fortgeschritten ist.

Hatzius: Diese Sorge teile ich nicht. Ein Strukturwandel ist ganz normal, so wie einst von der Landwirtschaft zur Industrie bewegt sich die US-Wirtschaft von der Industrie in den Servicebereich. Das wahre Problem ist das Leistungsbilanzdefizit. Es beträgt immer noch 3,5 Prozent und wird vermutlich wieder zunehmen. Anpassungen werden vor allem über eine Abwertung des Dollar passieren. Wir erwarten einen Euro-Dollar-Kurs von 1,50 in den nächsten zwölf Monaten - auch weil die Geldpolitik der Fed locker bleibt. Wir erwarten keine Zinserhöhung bis Ende 2012. In Europa kommen Zinserhöhungen vermutlich früher.

STANDARD: Noch zwei Jahre fast null Prozent Zinsen? Ist das vernünftig?

Hatzius: Ja, denn die USA haben so viel freie Kapazitäten, dass es starkes Wachstum braucht, um ihr wirtschaftliches Potenzial wieder auszuschöpfen und die Arbeitslosenquote in Richtung fünf bis sechs Prozent zu senken. Eine Zinserhöhung wäre das Letzte, was sie brauchen könnten. Ich sehe auf Jahre hinaus auch kein Inflationsproblem und daher auch keinen Grund für die Fed, die Geldpolitik zu verschärfen.

STANDARD: Aber niedrige Zinsen waren doch eine der Ursachen der Finanzkrise. Macht Fed-Chef Ben Bernanke den gleichen Fehler wie einst Alan Greenspan?

Hatzius: Die Geldpolitik hat nur wenig zur Finanzkrise beigetragen, die unzureichende Regulierung der Finanzmärkte war das größere Problem. Vor allem aber sehen wir keinerlei spekulative Blasen in den Finanzmärkten. Alle Bewertungen sind sehr moderat. Das Pendel ist von übergroßer Risikobereitschaft auf große Risikoaversion zurückgeschwungen.

STANDARD: 2013 kommen dann höhere Zinsen und ein Sparbudget?

Hatzius: Meine Empfehlung aus derzeitiger Sicht wäre, der Fiskalkonsolidierung den Vorzug zu geben und die Geldpolitik relativ locker zu halten. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2011)