Gefährden Menschen, die betteln, die "nationale Sicherheit" ? Verfassungsjurist Christian Brünner glaubt das nicht und hält daher den ÖVP-Entwurf für ein Bettelverbot für verfassungswidrig.

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Graz - Menschen, die vor Häusern oder auf Brücken knien - auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt - und Passanten um eine Spende bitten, sind auch in der steirischen Landespolitik ein Thema. Und das, obwohl das Betteln Minderjähriger und das im Volksmund "aggressives Betteln" genannte Ansprechen und Begleiten von Passanten ohnehin seit Jahren verboten sind.

Da aber absolute Bettelverbote von Kommunen nicht verhängt werden dürfen, weswegen etwa jenes von Fürstenfeld aufgehoben wurde, versucht es die ÖVP nun wieder auf Landesebene. Der neueste Antrag kommt von ÖVP-Klubchef Christopher Drexler und wurde am Dienstag im Verfassungsausschuss des Landtages erörtert. Als absolutes Bettelverbot will ihn die ÖVP nicht verstanden wissen, da man einzelnen Gemeinden einräumt, Zonen festzulegen, in denen gebettelt werden darf. Nach dem die SPÖ im Vorfeld Kompromissbereitschaft signalisiert hatte, gab es am Dienstag aber keine Einigung. Der Entwurf geht zurück in den Unterausschuss, wo er zumindest ein Monat bleiben wird.

FPÖ, KPÖ und Grüne stimmten auch gegen die Behandlung im Unterausschuss: Die FPÖ, weil sie das generelle Bettelverbot sofort beschließen wollte, KPÖ und Grüne, weil sie die Gesetzesnovelle für unnötig halten.

Das befindet auch der Verfassungsjurist und ehemalige LIF-Politiker Christian Brünner, er hält den Gesetzesentwurf noch dazu für "völlig verpfuscht" . Man habe es offenbar so eilig gehabt, dass sogar Satzteile fehlten. Juristisch zeigt Brünner einige Schwächen auf, die den Entwurf für ihn "eindeutig verfassungswidrig" machen, wie er dem Standard erklärt.

Verletzung der Grundrechte

Konkret würde das Gesetz Grundrechte verletzen. Laut Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jeder Mensch ein Recht auf Privat- und Familienleben und damit auf die freie Gestaltung der persönlichen Lebensführung. (Bei Minderheiten wie den Roma ist das sogar besonders schützenswert.) In dieses Recht darf die Behörde nur eingreifen, wenn entweder "die nationale oder öffentliche Sicherheit" oder das "wirtschaftliche Wohl des Landes" gefährdet ist. "Das ist ja durch Bettler wohl nicht der Fall", bemerkt Brünner.

Andere Gründe, dieses Recht zu beschneiden, wären die "Aufrechterhaltung der Ordnung" , die "Verhütung von Straftaten" oder der "Schutz der Gesundheit" sowie "der Schutz der Moral, der Rechte und Freiheiten anderer" . Und das wird schon im bestehenden Verbot berücksichtigt.

Der Grund, warum die ÖVP noch vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über das Salzburger Bettelverbot ein neues Gesetz in der Steiermark durchwinken will, könnte der Grazer ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl sein. "Sicher wäre er damit aus einer Zwickmühle befreit", glaubt die grüne Vizebürgermeisterin Lisa Rücker. Denn im schwarz-grünen Koalitionsvertrag wurde ein Bettelverbot dezidiert ausgeschlossen. Seine Einführung wäre eine "Scheidungsgrund" . Dennoch stellte Nagl eine Volksbefragung in Aussicht. Würde das Land Graz das Bettelverbot aufzwingen, "wäre er aus dem Schneider" , weiß Rücker. Bettelzonen hält sie für nicht realisierbar: "Das ist der größte Blödsinn. Wo sollen die sein? Bei einer Autobahnauffahrt?"(Colette M. Schmidt, DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2011)