PETRA UNGER arbeitet als Kulturvermittlerin, Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik und Expertin für Gender Studies und Feministische Forschung, M.A.

Sie forscht zu politischer Frauengeschichte und Frauenkunstgeschichte unter feministischen Aspekten. Transdisziplinär arbeitend zählen neue Ansätze Feministischer Theorie und Gender Studies zu ihren vielfältigen Arbeitsfeldern.

Ihr Wissen vermittelt sie in Form von Rundgängen in der Stadt, Lesungen, Vorträgen und Seminaren sowie als Autorin verschiedener Publikationen.

www.petra-unger.at

Foto: Carina Ott

Am 19. März 2011 jährt sich zum hundertsten Mal die erste große Demonstration für Frauenrechte, auf der Wiener Ringstraße mit 20.000 Frauen und Männern. Nach wie vor sind nicht alle der damaligen Forderungen umgesetzt. Während Mutter- und Schutzgesetze für Kinder oder das Frauenwahlrecht heute als Selbstverständlichkeit gelten, wird der straffreie Schwangerschaftsabbruch von vielen Seiten weiterhin konsequent angegriffen und befindet sich noch immer im Strafgesetzbuch. Und obwohl der 19. März 1911 der Auftakt für viele frauenkämpferische Jahrzehnte war, warten Frauen auch noch immer darauf, dass "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" Realität wird. 

Um dieses Datum entsprechend zu würdigen, gründete eine Gruppe von Frauen AUS! Plattform 20000 Frauen mit deren Hilfe der 19. März 2011 nicht minder bedeutend werden soll. Wieder sollen es 20.000 werden, um mutigen Vorreiterinnen zu gedenken und um auf noch offene Forderungen aufmerksam zu machen. Beate Hausbichler sprach mit Petra Unger, die in Zusammenarbeit mit anderen engagierten Frauen an der Planung und Organisation der Demonstration arbeitet, über die Protestform "Straße", Männer bei Frauendemos und die Politisierung der Frauen.

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dieStandard.at: Wie ist die Idee entstanden, am 19. März wieder 20.000 für Frauenrechte auf die Straße zu holen?

Petra Unger: Es ist in der Luft gelegen und natürlich wussten auch viele von dem Jubiläum. Es gab im Frühjahr 2010 eine erste konkrete Idee bei einer Veranstaltung in der Frauenhetz. Bei einer meiner Veranstaltungen der Reihe "Nachdrücklich - Vorbildlich, Pionierinnen und Zukunftsfrauen" im Kosmos-Theater im September 2010 wurde zusammen mit der Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek über eine Repolitisierung der Frauen und der Frauenorganisationen diskutiert, die oft unter schwierigen Bedingungen vor sich hinarbeiten. Aus dieser Diskussion ist beim Volksstimme-Fest ein weiteres Treffen entstanden und seitdem laufen die Vorbereitungen zur Frauendemonstration.

Es war schnell klar, dass die Plattform breit werden soll und weit über autonome und linke Frauen hinausgehen soll, aber mit einer klaren Abgrenzung gegen Rechts. Einig waren sich die Frauen auch darin, dass keine neuen Dinge erfunden und keine neuen Manifeste geschrieben werden müssen, sondern dass wir auf Instrumente zurückgreifen, die da sind und Forderungen eine Plattform geben, die noch immer nicht erfüllt sind. Auch der Slogan "AUS - Aktion, Umsetzung, Sofort!" stand schnell fest.

dieStandard.at: Wie sind die Vorbereitungen organisiert?

Petra Unger: Es gibt regelmäßig ein offenes Plenum und ein Koordinationsteam von fünf Frauen inklusive mir, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Wir bereiten die Themen für die offenen Plena vor, schreiben Protokolle oder machen die Einreichungen für Förderungen. Das Koordinationsteam ist eine konstante Gruppe, bei den Plena wechseln die Teilnehmerinnen - das ist eine bunte offene Runde und alle Frauen sind herzlich eingeladen zu den Plena zu kommen.

dieStandard.at: Wie finden die Frauen zu den Plena und welche Frauen kommen?

Petra Unger: Sie kommen aus den unterschiedlichsten Richtungen. Aus den verschiedensten Frauenorganisationen und -netzwerken oder durch Mundpropaganda. Es sind unterschiedliche Frauen immer wieder miteinander im Gespräch. Allgemein gesprochen kommen viele aus der österreichischen Frauenbewegung, die zwar momentan nicht so öffentlich und aktionistisch auftritt wie in der 70er Jahren. Aber institutionalisiert kontinuierlich an der Umsetzung und Einforderung von Frauenrechten arbeitet.

dieStandard.at: Waren sich alle darüber einig, dass eine große Demonstration im Zentrum des Jubiläums stehen soll? "Auf die Straße gehen" empfinden viele als verstaubte Protestform.

Petra Unger: Dass es eine Demonstration geben muss und wir 20.000 Frauen auf die Straße bringen wollen, stand schnell außer Frage. Auch andere Aktionen werden überlegt. Aber die Demonstration ist sozusagen ein erstes Signal, dass es den Frauen reicht und wir wieder sichtbare Frauenpolitik und Politisierung der Frauen wollen.

dieStandard.at: Was können Demonstrationen bewirken?

Petra Unger: Es ist wichtig, den öffentlichen Raum mit frauenpolitischen Forderungen zu besetzten, dort sollen nicht nur kommerziell ausgerichtete Veranstaltungen wie Fußball-Weltmeisterschaften stattfinden. Es geht darum, den Forderungen der Frauen, die immer noch 52 Prozent der Bevölkerung ausmachen, Ausdruck zu verleihen - und das massenhaft. Es ist wichtig, einer politischen und medialen Öffentlichkeit sichtbar zu vermitteln: Frauenpolitik muss wieder auf die politische Agenda, und zwar ganz dringend! Solange wir nur die bekannten, sehr eingeschränkten Mittel haben, um Öffentlichkeit zu bekommen und die etablierten Medien das Thema kaum oder antifeministisch aufgreifen, werden wir weiter auf die Straße gehen. Ich persönlich bin eine ganz große Anhängerin dieser Protestform. Selbstverständlich überlegen wir, was nach der Demonstration ist und wie wir politischen Druck auf die Verantwortlichen ausüben.

dieStandard.at: Welche Aktionen abseits der Demo könnten das sein?

Petra Unger: Wir haben beispielsweise die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es - ganz im Stil von Johanna Dohnal - eine Frauenenquete rund um den 19. März geben könnte. Ein großes Treffen von Frauenorganisationen, einzelnen aktiven Frauen und Initiativen, um unter Anderem mit Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek gemeinsam vorzugehen. Es geht darum, als Zivilgesellschaft politischen Druck auf die politisch Verantwortlichen auszuüben und auch darum, die Frauenministerin innerhalb der politischen Strukturen zu stärken und zu fordern.

dieStandard.at: Was sind seit Beginn der Organisation des Jubiläums die größten Diskussionspunkte, bei denen wenig Konsens herrscht?

Petra Unger: Wichtig war z.B. die Frage rund um die Teilnahme von Männern an der Demonstration. Was bedeutet das für die Demonstrations-Organisation? Konsequenzen haben beide Varianten: Wenn wir zu einer Demonstration nur für Frauen aufrufen, müssen wir überlegen, wie wir Männer daran hindern, mitzugehen und wenn Männer mitgehen, müssen wir überlegen, wie wir das gestalten wollen. Wird es dann plötzlich eine gemischte Demonstration? Ist es dann keine Frauendemonstration mehr? Oder, wie wird das aussehen, wenn Männer nur in einem bestimmten Teil der Demonstration mitgehen? Das waren sehr intensive Diskussionen. Es ließ sich auch kein Konsens herstellen, sondern es musste abgestimmt werden.

dieStandard.at: Was ist Ihre persönliche Position dazu?

Petra Unger: Ich wäre mit beidem einverstanden gewesen. Wenn wir die Straße zu Tausenden für uns haben, ist das wunderbar, und dass am 8. März die Straßen nur für Frauen freigemacht werden, halte ich für ein wichtiges politisches Signal. "Wir erobern uns die Nacht, wir erobern uns die Straße zurück", das sind Slogans der 70er und sie sind noch immer absolut zu befürworten. Zur Teilnahme von Männer kann ich nur sagen: Auch wenn so viel von emanzipierten, solidarischen Männern gesprochen wird - sie sind eine verschwindend geringe Minderheit. Eine weitere Überlegung in der Diskussion war: Solidarische Männer können uns ja gerne unterstützen - mit Geld, mit Arbeit, mit Beteiligung. Ein anderer Kompromiss-Vorschlag wäre gewesen, dass Männer sich nicht bei einer durchorganisierten Demonstration anhängen, bei der wir die ganze Arbeit gemacht haben und sie als solidarische Männer glänzen können, sondern dass emanzipierte Männer auch etwas Eigenes organisieren und so eine pro-feministische Männerbewegung sichtbar gemacht werden könnte.

Es gab für mich auf beiden Seiten gute und gewichtige Argumente: Einen eigenen Raum für Frauen zu schaffen auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Forderung nach einer neuen Männlichkeit, die sich auch aktiv zeigt.

dieStandard.at: Feministinnen wird vor allem seit einigen Jahren auch bei anderen Themen wenig Einigkeit nachgesagt, ist das ein Problem für eine so breite Plattform?

Petra Unger: Die Frauenbewegung war nie einheitlich, vor 100 Jahren gab es die radikalen und die bürgerlichen Frauen. Eine homogenisierte Bewegung herzustellen ist auch nicht das Ziel. Vielmehr sehe ist es als Aufgabe unserer Generation mit dieser Vielfalt und Komplexität friedlich und demokratisch umzugehen. Die Frauenbewegung hatte immer schon an diesen Demokratisierungsprozessen einen wesentlichen Anteil. Wir sollten diese Kraft wieder mobilisieren und ich glaube, dass das möglich ist, denn die Frauen merken, dass vieles nur eine rhetorische Emanzipation der Männer ist: Die Männer sind nicht emanzipiert, sie sind nicht zuhause bei den Kindern, sie waschen nicht so viel Geschirr, wie sie behaupten, sie sind nicht so wenig sexistisch, so gewaltfrei wie sie behaupten. In diesem Sinne brauchen wir eine andere Männlichkeit, sogar sehr dringend. Und wir brauchen eine andere Organisation der Gesellschaft, auch in Erweiterung der Geschlechterdebatte um inter-, bi- und transsexuelle Menschen, weg von der Einteilung in Frau/Mann.

dieStandard.at: In den letzten Jahren fand die Frauendemonstration zum Internationalen Frauentag am 8.März mit leider nur sehr wenigen Teilnehmerinnen statt. Ist es klug, noch eine Demonstration im März zu machen, dröselt sich das nicht zu sehr auf?

Petra Unger: Es gibt hier zwei historische Bezüge: den 8. und den 19.März. Der Internationale Frauentag als Kampftag um besseren Lohn, Zugang zu höherer Bildung oder Mutterschutz hat sich im Lauf der Geschichte der Frauenbewegung aus verschiedenen Gründen auf den 8. März verschoben (mehr dazu im dieStandard.at-Interview mit Historikerin Heidi Niederkofler). Aber dieses Jahr gibt es am 19. März das 100jährige Jubiläum der Demonstration auf der Ringstraße 1911. Damals waren 20.000 Frauen und auch Männer für das Frauenwahlrecht und die Rechte der Frauen auf der Straße. Das war der erste groß begangene Frauentag in Österreich. Das ist ein guter und notwendiger Anlass für eine weitere Demonstration - eine Jubiläumsdemonstration. Bei vielen Jubiläen wird alles Mögliche gemacht, warum sollten wir das klein halten, auch die Frauenbewegung hat Jubiläen und sie hat guten Grund sie zu feiern. Es ist zudem ein Anlass, genauer hinzuschauen. Sind wir wirklich so emanzipiert? Wenn wir uns die Einkommensschere ansehen, muss man feststellen: Die Einkommensverhältnisse sind exakt wie vor hundert Jahren, Frauen verdienten vor hundert Jahren um genau so viel weniger als Männer.

dieStandard.at: Was wäre eine Vision, wie es nach der Demonstration weitergehen könnte?

Petra Unger: Die Demonstration am 19. März soll nicht ein Höhepunkt sein, nach dem dann wieder lange nichts kommt, sondern sie soll ein Auftakt zur Politisierung der Frauen sein. Die Organisationsarbeit, das Diskutieren in den Plena - das ist politische Bewusstseinsbildung. Ich kann nur einladen, möglichst oft dazuzukommen. Dort kann frau politisches Handeln und Denken lernen und praktizieren. Was die nächsten Aktivitäten sein werden, wird sich zeigen. Sie werden nicht zu ignorieren sein. Die Demonstration soll auch bewirken, dass sich Frauen wieder mehr aufeinander beziehen, sich kennenlernen, um gemeinsam aktiv zu werden. Die Demonstration ist erst der Anfang. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at.at, 16. 1.2011)