Auch 100 Jahre später wird noch demonstriert. Hier eine Frauentagsdemonstration am 8. März 2003.

Daniela Yeoh/Helga Hiebl

HEIDI NIEDERKOFLER ist Historikerin und als Mitarbeiterin des Kreisky Archivs an der Ausstellung "FESTE.KÄMPFE. 100 Jahre Frauentag" beteiligt.

Sie ist externe Lektorin in Wien und Linz und in feministischen, queeren Zusammenhängen engagiert.

Foto: privat

Auf der Höhe des heutigen Gartenbaukinos und des Stadtparks in Wien fand sich am 19. März 1911 eine Demonstration für die Rechte der Frauen zusammen. Sternenmarschartig kamen aus den verschiedenen Bezirken 20.000 Menschen bei den Blumensälen der Gartenbaugesellschaft zusammen und gingen gemeinsam den Ring entlang, vorbei an Schwarzenbergplatz und Parlament, zum Rathaus.

Heuer jährt sich dieses große Ereignis der Frauenbewegung zum 100. Mal und die Vorbereitungen für die Jubiläumsdemonstration am 19. März 2011 laufen bereits auf Hochtouren. Beate Hausbichler sprach mit der Historikerin Heidi Niederkofler darüber, warum wir heute den Frauentag am 8. März feiern, über Folgen der großen Demonstration und ihre Anstoßgeberinnen.

dieStandard.at: Am 19. Marz 1911 gingen 20.000 für Frauenrechte auf die Straße. Warum feiern wir den Frauentag aber jedes Jahr am 8. März?

Heidi Niederkofler: Es ist fraglich, ob man den 19. März 1911 als ersten Frauentag bezeichnen kann. Bereits 1892 war in Wien eine Veranstaltung unter dem Namen "Erster österreichischer Frauentag" geplant, die zur Gänze von Frauen aus dem bürgerlich-liberalen Umfeld ausging. Die Sozialistinnen haben sich davon damals klar abgegrenzt. Bis in die 1970er Jahre haben die Frauentage zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattgefunden. 1921 haben die kommunistischen Frauen beschlossen, den Internationalen Frauentag wieder zu feiern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Frauentag einige Jahre nicht begangen, weder von den Sozialistinnen, noch den Kommunistinnen und auch nicht den bürgerlich-liberalen Frauen, da der erste und damals vordergründige Zweck erfüllt war: das Frauenwahlrecht. Neben der Wiederaufnahme des Frauentages beschlossen die kommunistischen Frauen auch die Fixierung auf den 8. März in Anlehnung an einen Frauenstreik am 23. Februar 1917 (Februarrevolution), mit der Verschiebung des Kalenders hat sich für Westeuropa der 8. März daraus ergeben.

Der 8. März war also zuerst der Frauentag der Kommunistinnen, für andere, die auch den Frauentag feierten, war das aber nicht der Fall. Sie wählten, etwa die sozialistischen Frauen, ihr Datum für den Frauentag immer in der ersten Jahreshälfte. Erst mit der Ernennung des Internationalen Frauentags als offiziellen UNO-Feiertag und seiner Fixierung am 8. März wurde dieses Datum parteienübergreifend gültig.

dieStandard.at: Wie kam am 19. März 1911 eine derart große Mobilisation zustande?

Niederkofler: Anfang des 20. Jahrhunderts gab es kein allgemeines Wahlrecht, weder für Männer noch für Frauen. 1907 wurde das allgemeine Männerwahlrecht durchgesetzt und ab dem Zeitpunkt hat sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei stärker auf das Frauenwahlrecht konzentriert. Die Sozialdemokratie als Partei, als Institution und Mobilisierungsapparat steht sozusagen hinter dem 19. März 1911. Nicht zu vergessen ist auch, dass die bürgerlich-liberalen Frauen ab den 1880er Jahren kontinuierlich für das Frauenwahlrecht eingetreten sind. Aus dieser Kombination und einer breiten Betroffenheit heraus ist diese große Zahl von Demonstrierenden entstanden.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der öffentliche Raum ein männlich dominierter Raum war. Die Tatsache, dass es eine Demonstration gegeben hat, die explizit Frauen angesprochen hat und wo mehrheitlich Frauen anwesend waren, um für ihre Rechte zu kämpfen – das bewirkte großes Aufsehen. Wie die Frauen bei der Demonstration gekleidet waren, wie der Marsch funktioniert hat, wie sie gegangen sind – all das wurde ganz detailliert thematisiert. Eine wichtige Rahmenbedingung und somit auch gesellschaftliche Realität war, dass es Frauen zu diesem Zeitpunkt verboten war, Mitglied in politischen Vereinen zu sein. Als unter diesen Voraussetzungen Frauen als Frauen auf die Straße gingen um auf ihre Rechte zu bestehen, war das eine Grenzüberschreitung und verursachte natürlich Wirbel.

dieStandard.at: Wie wurden die demonstrierenden Frauen beschrieben?

Niederkofler: Das ist im Kontext der Suffragetten in England ganz interessant, die Hungerstreiks veranstalteten oder auch vor tätlichen Angriffen nicht zurückschreckten. Die Suffragetten warfen auch Bomben und schlugen Schaufenster ein. In Wien hingegen war man sehr darauf bedacht zu betonen, dass der Zug "würdevoll und geordnet", wie beschrieben wurde, abläuft. Die Frauen, die sich auf diese Art im öffentlichen Raum bewegten, sollten es sozusagen "wert" sein, das Wahlrecht zu bekommen. Es wurde zwar nicht angesprochen, dass die Suffragetten ein Negativbeispiel waren, aber diesen Subtext gab es dennoch.

dieStandard.at: Weiß man, wie umfangreich die Teilnahme von Männern am 19. März 1911 war?

Niederkofler: Nein. Aber es wird immer erwähnt, dass Männer dabei waren. Auch, dass sie als Ordner fungiert haben. Auf den zeitgenössischen Darstellungen, wie etwa Zeichnungen, sind schon auch Männer zu sehen – wenn auch zu einem kleineren Teil.

Die Teilnahme von Männern an den Frauendemonstrationen war bis Ende der 70er Jahre unumstritten. Die Entwicklung, wie wir sie jetzt haben, dass bei den Demonstrationen am 8. März ausschließlich Frauen mitgehen, ist eine Entwicklung jüngeren Datums. Bis Ende der 70er waren bei den Frauentag-Demonstrationen der KPÖ und SPÖ – andere gab es nicht – Männer dabei. Die beiden Parteien verfolgen theoretisch den Grundsatz, Männer und Frauen sind gleich und Männer engagieren sich auch für Frauenforderungen. Das ist ihr Credo.

dieStandard.at: Welche Folgen konnte die Teilnahme an der Demonstration 1911 nach sich ziehen?

Niederkofler: Ob es Folgen für die Demonstrierenden gab, wissen wir nicht. Davon stand in den Dokumenten nichts. Bei politischen Versammlungen waren – wenn auch nicht offiziell – Polizisten anwesend, die gegebenenfalls einschritten. Es musste also sehr darauf geachtet werden, was gesagt wurde.

dieStandard.at: Gab die Demonstration am 19. März einen konkreten Anstoß oder war sie vor allem auf symbolischer Ebene wirksam?

Niederkofler: Sie war ein Schritt auf dem Weg zum Wahlrecht und auch ein Schritt in Richtung einer Veränderung des Vereinsrechtes, das Frauen sowie AusländerInnen und Minderjährigen verboten hat, Mitglied in politischen Vereinen zu werden. Wahlrecht und das Vereinsrecht waren zwar vor dem ersten Weltkrieg nicht mehr durchzukriegen, sie wurden aber dann in der Ersten Republik beschlossen.

Aber auch die symbolische Ebene ist nicht zu unterschätzen, das war ein Paradigmenwechsel bei Fragen wie: Was bedeutet öffentlicher Raum? Wer ist berechtigt daran teilzunehmen? Die geschlechtsspezifischen Grenzen wurden damit thematisiert, wie auch die klassenspezifischen. Wenn so eine Masse auf der Straße ist, mehrheitlich Frauen, vielfach einfache Arbeiterinnen – das war eine wichtige Botschaft.

dieStandard.at: Welche Frauen haben den 19. März vorangetrieben?

Niederkofler: Es waren mehrere beteiligt. 1910 hat Clara Zetkin bei der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen den Vorschlag präsentiert, jährlich einen Frauentag abzuhalten. Das war eine Idee, die sie von amerikanischen Sozialistinnen übernommen hat. In Österreich ist für die Sozialdemokratie Adelheid Popp zu nennen und für die bürgerlich-liberalen Frauen Ernestine von Fürth, die im Frauenstimmrechtskomitee aktiv war. Diese Frauen haben für die anderen gesprochen und haben Kontexte hinter sich versammelt, die Teile des Ganzen waren. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 13.1.2011)