Auf die in diesen Tagen erfolgte Meldung von der Rekordaustrittsrate aus der katholischen Kirche gibt es die erwartbaren Reaktionen ihrer Mitglieder: Man hört einerseits, dass es in der Kirche einen Reformstau gibt, der Anlass zu den Austritten bietet (Zulehner, Feichtlbauer usw.), andererseits hält der Wiener Kardinal fest, dass die Kirchenflucht nicht zuletzt Folge vom Übergang der "Traditionskirche" hin zu einer "Entscheidungskirche" ist. Gleichzeitig aber beruhigt ein Direktor der steirischen Finanzdiözesankammer mögliche besorgte Mitglieder, dass das System insgesamt nicht in Frage gestellt sei. Darin liegt aber der grundsätzliche Irrtum!

Das System der "Kirchensteuer" als solches ist falsch und der Grund für die Austritte und den zunehmenden Zusammenbruch der Kirche in Österreich.

Außerhalb des deutschsprachigen Raumes käme keine Kirche auch nur auf die Idee, ihre getauften Mitglieder unter Androhung von staatlichen Zwangsmaßnahmen und kirchlicher Exkommunikation zu einer Zahlung zu verpflichten. Wenn man etwa italienischen Katholiken bis hin zu Bischöfen das österreichische Kirchenbeitragssystem zu erklären versucht, erntet man nur entsetztes Kopfschütteln.

Letztlich fügt sich dieses System, auch wenn in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft der Kirche aufoktroyiert, in eine ganz bestimmte kirchliche und gesellschaftliche österreichische Tradition ein: nämlich jener der beiden Obrigkeiten "Thron" und "Altar", deren Kammern, Räte etc. das bildeten, was sich in unserem Sprachschatz als obrigkeitliche "Behörde" eingebrannt hat, der der "K. u. k. Untertanenverband" gegenübersteht. Während allerdings der "Thron" heute wenigstens formal nicht mehr besteht, existierte bis vor nicht allzu langer Zeit die zweite "Behörde" überraschend unangefochten, nämlich der "Altar".

Nur in einem Selbstverständnis als Behörde kann eine Kirche eine vom Volksmund zu Recht so genannte "Kirchensteuer" einfordern, Mitglieder amtlich registrieren und bei Nichtbeachtung eines Erlagscheines pfänden lassen.

Genau dieses Selbstverständnis ist der Grund, warum die Kirche in kaum einem anderen Land der Welt so abgelehnt wird wie in Österreich und warum tatsächlich für viele der erste Schritt in die Emanzipation der Gang zur staatlichen Behörde ist, um sich dort wenigstens von der kirchlichen abzumelden.

Kardinal Christoph Schönborn trifft den Punkt genau, wenn er den Abschied von einer bestimmten kirchlichen Tradition einfordert, aber der erste und entscheidende Schritt dahin ist der bedingungslose Verzicht auf das Kirchensteuersystem!

An ihm hängen allerdings viele Arbeitsplätze und immense, oft nicht beachtete Leistungen kultureller und sozialer Art für die Gesellschaft insgesamt (Erhaltung kultureller Güter, soziales und spirituelles Engagement in Segmenten, die vom Staat kaum oder gar nicht mehr erreicht werden usw.), weshalb eine Änderung natürlich einer Übergangsfrist bedürfte.

In dieser müsste dann darüber diskutiert werden, ob nicht Teile eines von allen zu errichtenden "Kulturbeitrags" der Aufrechterhaltung einiger dieser Leistungen dienen sollte. Am Ende stünde dann eine Kirche, die ihren Status als Obrigkeit verloren und dafür Glaubwürdigkeit gewonnen hätte, womit sie der Gesellschaft einen freieren Zugang zur eigenen, nicht zuletzt christlich geprägten Kultur ermöglichte.  (Kurt Appel, DER STANDARD, Printausgabe 13.1.2011)