Leider bin ich erst jetzt auf den Gastkommentar von Georg Graf über die "unheilvolle Allianz von Abtreibungsgegnern und Ärzten" (29. 12. 2010) aufmerksam geworden, der mich ob seiner fehlenden Rechtskenntnisse schon verwundert. Auf die gültige Rechtslage, dass Abtreibung in Österreich grundsätzlich verboten ist und nur unter bestimmten Prämissen straffrei bleibt, hat ja schon Franz-Joseph Huainigg kürzlich an dieser Stelle hingewiesen. Viel entscheidender ist aber (und das wird in der Debatte von fast allen Zeitungen übersehen), dass der Anlass für den Gesetzesvorschlag primär die einander diametral widersprechenden OGH-Urteile der letzten zehn Jahre waren. Zur Illustration:

Zwischen 1999 und 2009 sind vom OGH in dieser sehr komplexen Materie "Kind als Schaden" acht Urteile ergangen, sieben zu Neugeborenen und ein Urteil zur Aufklärungspflicht bei einem HELPP Syndrom. Der 1. Senat hat bei übersehenen Extremitätenmissbildungen (1 Ob 91/99k) auf Ersatz des Mehraufwandes entschieden, der 5. Senat hat bei einem M.Down Kind mit zusätzlichen Missbildungen (5 Ob 165/05h) und bei einem Kind mit MMC (5 Ob 148/07m) auf Ersatz der gesamten Pflege- und (!) Lebenskosten entschieden. Hingegen hat der 6. Senat bei einer sog. Erbkrankheit (6 Ob 303/02f), bei Drillingen (6 Ob 148/08w) und vor allem bei einer missglückten Samenleiterunterbrechung (6 Ob 101/06f) festgestellt, dass kein schadenersatzpflichtiger Fall vorliege, da ein Kind per se keinen Schaden darstellen könne.

Was gilt nun eigentlich? Diese rechtsverbindlichen, da in oberster Instanz ergangenen Urteile schließen einander klar aus. Wenn die Spruchpraxis aber vom Zufall bestimmt wird - je nach Zuständigkeit der einzelnen Senate - dann werden OGH-Urteile zur Lotterie, Und diesen Missstand muss der Gesetzgeber klären, da auch Ärzte Anspruch auf Rechtssicherheit haben.

Zur Ergänzung: Das achte Urteil (9 Ob 64/08i) aber stammt vom 9. Senat in Salzburg und schränkt die Aufklärungspflicht ein, die vom 5. Senat noch sehr exzessiv ausgelegt worden ist: Der Kollege hat zwar drei Mal seine Patientin aufgefordert, zur Risikoambulanz zu gehen, was diese als "mündige" Patientin aber unterlassen hat.

Ich habe zu allen acht Urteilen die Ordnungsnummer dazu geschrieben, um es Herrn Graf leichter zu machen, seine Rechtskenntnisse aufzufrischen. Jedenfalls sind die Unterhaltskosten in Österreich bis jetzt nur in zwei von sieben Fällen erfolgreich eingefordert worden, nota bene nicht einmal in jüngster Zeit, so dass auch von einem Paradigmenwechsel keine Rede sein kann. Im Salzburger Fall kann ich überhaupt kein strafbares Verhalten erkennen, da dem Arzt nicht anzulasten ist, dass seine Patientin seinen Empfehlungen nicht folgt. Im Klagenfurter Fall verstehe ich die Enttäuschung der Eltern voll - dennoch halte ich das Gutachten für extrem streng und überfordernd. Allerdings hätte die Kollegin auf Kontrollen im Spital bestehen sollen. Jedenfalls taugen beide Fälle nicht als Beispiele, wie sich Ärzte aus einer Haftung für Diagnosefehler davonstehlen wollen, wie Graf dies unter dem polemischen Stichwort "schadenersatzrechtliche Freifahrscheine" suggeriert.

Zu der "netten" Unterstellung, dass Ärzte sehr viel Geld an den pränatalen Untersuchungen verdienen, sei im übrigen festgehalten, dass jene Klagenfurter Kollegin selbstverständlich keinen einzigen Cent erhalten hat. Hingegen fordert Univ.-Prof. Husslein in Zeitungskommentaren vom Hauptverband erhöhte Gebühren, um die Pränataldiagnostik endlich kostendeckend durchführen zu können. Der Salzburger Kollege allerdings muss den Schadenersatz als niedergelassener Geburtshelfer aus eigener Tasche zahlen (3657 Euro monatlich plus Gerichts- und Anwaltskosten), da seine Haftpflicht natürlich gedeckelt ist. (In Deutschland hat eine Haftpflichtversicherung von einem Gynäkologen kürzlich 66.000 Euro Jahresprämie verlangt, worauf dieser die Geburtshilfe aufgegeben hat.) Aber es ist freilich immer leichter, das Klischee vom geldgierigen Arzt zu bedienen, als ordentlich zu recherchieren ... (DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2011)