Brüssel - Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban aufgefordert, das umstrittene Mediengesetz zurückzuziehen. "Das von ihrem Parlament verabschiedete Mediengesetz ist Gegenstand großer internationaler Kontroversen, die zwischenzeitlich zur Belastung ihrer (EU-)Präsidentschaft werden", schrieb der Fraktionsvorsitzende Martin Schulz in einem am Donnerstag bekanntgewordenen offenen Brief an den Budapester Premier und Parteichef der rechtskonservativen Fidesz.

"Ich bitte sie deshalb das Gesetz zurückzuziehen, um sich Zeit zu nehmen, über ein Medienrecht für ihr Land nachzudenken, das unseren gemeinsamen europäischen Grundregeln und unseren gemeinsamen Werten entspricht und damit einen Schritt zu tun, ihrer Präsidentschaft den
Weg zum Erfolg zu ebnen", heißt es in dem Schreiben weiter.

Aussprache am Mittwoch

Am kommenden Mittwoch will sich Orban einer Aussprache mit den Europaabgeordneten im EU-Parlament in Straßburg stellen. Unter den Fraktionen wird derzeit diskutiert, ob und wie dabei das ungarische Mediengesetz zum Thema gemacht werden könnte. Während Liberale, Grüne und Linke auf eine Parlamentsresolution drängten, gaben sich die Sozialdemokraten bisher zurückhaltender. Anfang nächster Woche könnte die Medienfreiheit in Ungarn auch im Bürgerrechtsausschuss diskutiert werden, hieß es in Parlamentskreisen.

Die größte politische Gruppierung im Europaparlament, die christdemokratisch-konservative EVP-Fraktion, der auch Orbans Fidesz-Partei angehört, hat sich gegen "politisch motivierte Anschuldigungen" gegen Ungarn gewandt. Deren Fraktionschef Joseph Daul erklärte, die Europäische Volkspartei (EVP) wolle sich anhand der Analyse der EU-Kommission zum ungarischen Mediengesetz eine Meinung bilden, und sei zuversichtlich, dass Ungarn Änderungen an dem Gesetz vornehme, wenn dies von der Brüsseler Behörde verlangt werde.

Swoboda: Erwarten bis Ende März Stellungnahme

Hannes Swoboda, sozialdemokratischer Fraktionsvize im Europaparlament, rechnet mit der Analyse der EU-Kommission bis Ende März und einer Reaktion in Budapest in dieser Angelegenheit. "Eine Verzögerungstaktik ist nicht hinnehmbar", sagte Swoboda. "Wenn es gravierende Mängel gibt und Ungarn nicht reagiert, wollen wir nach Artikel 7 vorgehen." Dieser Artikel würde Sanktionen der EU gegen ein Mitgliedsland der Europäischen Union erlauben, das demokratische Grundrechte schwer und anhaltend verletzt. Die sozialdemokratische Fraktion fühle sich verantwortlich für Medienpluralismus, aber auch dafür, dass die ungarische EU-Ratspräsidentschaft "nicht in Skandal und Chaos untergeht", sagte Swoboda.

Nach Angaben von Swoboda will der parlamentarische EU-Ausschuss für Grundrechte am kommenden Montagabend mit den beiden  EU-Kommissarinnen Neelie Kroes (digitale Agenda) und Viviane Reding (Justiz) das ungarische Mediengesetz erörtern. Am Mittwoch soll der
ungarische Ministerpräsident Viktor Orban das Programm seiner EU-Ratspräsidentschaft den Abgeordneten in Straßburg vorstellen. Eine Parlamentsresolution zu Ungarn sei vonseiten der Sozialdemokraten nicht vorgesehen, da die Kommission das Gesetz gerade prüfe. "Wir wollen Schritt für Schritt vorgehen", sagte Swoboda.

Kritik von EU-Kommissarin Kroes

Die für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes hatte zuletzt mehrere Punkte des Mediengesetzes in Hinblick auf den EU-Rechtsrahmen kritisiert. "Neben speziellen Fragen zur Audiovisuellen Mediendienste-Richtline (AVMD) wirft das neue Mediengesetz breitere politische Fragen in Hinblick auf die freie Meinungsäußerung auf", erklärte sie. Die in dem Gesetz enthaltene Vorschrift nach ausgewogener Information sei weit gefasst, da sie sich auch auf audiovisuelle Mediendienste on demand und einfache Videoblogs erstrecke. Auch die Verhältnismäßigkeit der Anforderung, dass alle audiovisuellen Online-Medien registriert werden müssen, bedürfe einer Überprüfung. Die EU-Kommission untersuche auch "die schwierige Frage der Kriterien für die Unabhängigkeit der Medienbehörde". (APA)