Gedankenaustausch auf einer Kreuzfahrt über das Mittelmeer: Jean-Luc Godards "Film Socialisme" sucht politische Brennpunkte der europäischen Geschichte auf.

Foto: Stadtkino

Eine Herausforderung, der man sich unbedingt stellen sollte.

Wien - Warum ist es so schwer, aus guten Gründen ein wenig überfordert zu sein? Als Jean-Luc Godards neuer (und bis auf Widerruf auch letzter Film) Film Socialisme in Cannes 2010 seine Uraufführung erlebte, war vor allem von seiner Obskurität, der bis zur Publikumsmissachtung neigenden Rätselhaftigkeit der Arbeit die Rede - so, als müsste sich immer gleich alles von selbst erklären. Godard, spitzfindig, wie er ist, schürte die Erregung von manchem US-Kritikerschwergewicht noch, indem er dem zum größten Teil französischsprachigen Film Untertitel in "Navajo-Englisch" verpasste - höchstens drei Wörter pro Zeile -, mit denen sich der Sinn des Gesagten allenfalls rudimentär erfassen ließ.

Ärgerlich an dieser Diskussion ist der Umstand, dass sie als Vorwand benutzt wird, sich mit dem Film nicht weiter befassen zu müssen - der Ehren-Oscar für Godard mit der daran geknüpften Debatte über die Relevanz seiner fragwürdigen israelkritischen Aussagen geht übrigens in eine ähnliche Richtung. Dabei liegt viel Ironie darin, dass Film Socialisme selbst von der Kollision von Sinneinheiten handelt, Bilder, Töne und Sprechakte sich mithin ständig in die Quere kommen, sodass es zu keinen erzählerischen Verkettungen mehr kommt. Nur zwei Katzen gelingt ein Dialog.

Das bedeutet aber nicht, dass dieser fragmentarische Austausch fruchtlos bleibt. Es ist ja nichts Neues, dass sich Godard, etwa in seinem enzyklopädischen Histoire(s) du cinéma, als Dekonstruktivist gebärdet, der Konventionen aufsprengt und in der Montage von Bildern und Texten Zusammenhänge erschließt, die auch auf Geschichte und Politik reagieren.

Film Socialisme verspricht schon mit seinem Titel die Reflexion einer politischen Ideologie, die er dann aber nur als Wegweiser durch eine spezifische Geschichte Europas benutzt. Der Film gliedert sich in drei Teile, der erste ist auf einem Kreuzfahrtschiff am Mittelmeer angesiedelt, der zweite in der Gemeinschaft einer Familie an einer Tankstelle, der dritte und kürzeste geht noch einmal in geraffter Form jene Orte durch, an denen nach Godard "unsere Humanität" einer europäischen Idee Brennpunkte erfahren hat: Ägypten, Palästina, Odessa, Hellas (Griechenland), Neapel und Barcelona.

"Quo vadis, Europa?", fragt so ein Insert nach dem ersten Teil, während im letzten beispielsweise Kassandra auftaucht, die Unglücksprophetin, an die niemand glauben wollte, die aber für Godard in ihrer Verweigerungshaltung auch für ein Moment des Widerstands steht, das in dieser Geschichte der Verwerfungen an diversen Stellen wieder auftaucht.

Politische Erweckung

In jenen Schiffspassagieren, die nicht zu Godards Eingemeindeten gehören wie der Philosoph Alain Badiou (vor leerem Auditorium), Patty Smith (den ein oder anderen Song trällernd) oder ein ominöser Otto Goldberg (der, selbst ein Geist der Vergangenheit, deren Spuren verfolgt) - in Pauschaltouristen also, die sich am Glücksspiel versuchen oder im Discoinferno taumeln, mag man wiederum eine Masse sehen, die unempfänglich für irgendeine Form der politischen Erweckung ist.

Allerdings stellt Film Socialism Repräsentationen per se infrage, und ein Schiff ist ein flexibler Ort, an dem Bedeutungen zerfließen. Was kann man schon vergleichen, heißt es dementsprechend einmal im Film. Die Familie Martin aus dem zweiten Teil, der viel gesetzter, privater wirkt als der assoziative Bilderreigen davor, mag hierfür wie eine verkleinerte Ordnung dienen. Auch hier sind die Figuren Platzhalter für Ideen, doch sie legen auch viel Eigensinn an den Tag: Von einem lokalen TV-Team lassen sie sich eben nicht adäquat porträtieren.

Godard hat Film Socialisme zur Gänze digital gedreht. Allein zu sehen, wie souverän er Bildtexturen (von besonders scharfem HD bis zur pixeligen Handykamera) miteinander verwebt und Ton- und Soundkontraste in sein Spiel der semantischen Auflösungen einbezieht, lohnt den Besuch dieses - eigens deutsch untertitelten - Filmessays. (Dominik Kamalzadeh   / DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2011)