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Barack Obama vor der Trauerfeier in Tucson. Seine Rede wollten nicht alle hören. Sarah Palin beklagte sich, dass die Journalisten eine "Blutanklage" gegen sie fabriziert hätten.

Foto: APA/EPA/Djansezian

 Die Gesellschaft müsse innehalten, Wunden heilen.

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Respekt und Toleranz, Besinnung und Wundenheilen waren die Schlüsselworte. Und die US-Kolumnisten, querbeet durchs politische Spektrum, sind sich einig wie selten. "Der Erwachsene im Kinderzimmer" , lobt die liberale New York Times. "Trost in Tucson" , schreibt das konservative Wall Street Journal, "der Präsident appellierte an die besseren Engel unserer Demokratie" .

Vier Tage nach den Schüssen von Arizona hat Barack Obama eine schlichte, bewegende Ansprache gehalten. Am Rednerpult stand der Landesvater, ein Seelentröster, der stellenweise fast wie ein Prediger klang. Kein Politiker, der schnell Punkte sammeln wollte angesichts schriller Wortmeldungen aus den Reihen der Opposition. Die schrillste war nur Stunden zuvor von Sarah Palin gekommen. Die Journalisten hätten eine "Blutanklage" gegen ihresgleichen fabriziert, wetterte die Ex-Gouverneurin Alaskas, nachdem man ihr vorgeworfen hatte, den Brunnen des Diskurses mit aggressiver Rhetorik vergiftet zu haben. "Blutanklage" , das Wort lässt ans Mittelalter denken, als Antisemiten die Juden verunglimpften, weil sie angeblich Christenkinder mordeten. Indem Palin es aufgriff, goss sie einmal mehr Öl ins Feuer der Kontroverse.

Ganz anders Obama. "Was wir nicht tun können, ist, diese Tragödie zu nutzen als eine weitere Gelegenheit, um aufeinander loszugehen", mahnte er vor 14.000 Zuschauern in der Sportarena der University of Arizona. "Wenn wir über Probleme diskutieren, lasst es jeden von uns mit einer guten Dosis Demut tun." Die politische Debatte, beschrieb er die Realität der vergangenen Monate, sei so verletzend geworden, dass der jeweils Andersdenkende die Schuld an allen Gebrechen der Welt in die Schuhe geschoben bekomme. "Es ist wichtig, dass wir für einen Augenblick innehalten und sichergehen, dass wir miteinander auf eine Weise reden, die Wunden heilt. Nicht auf eine Weise, die verletzt."

Da war er wieder, der Hoffnungsträger, den die Amerikaner auch deshalb ins Weiße Haus delegierten, weil er versprach, die unter George W. Bush aufgerissenen Gräben zuzuschütten. Im erbitterten Streit um Gesundheitsreform, Konjunkturpakete und Rekorddefizite war von dem Vorsatz nicht mehr viel übriggeblieben. Nun knüpfte Obama dort an, wo er als Kandidat aufgehört hatte.

"Durch Pfützen springen"

Obama erzählte Geschichten, würdigte die Toten, so wie es angelsächsischer Tradition bei Trauerfeiern entspricht. Emotional aufgewühlt schilderte Obama die Lebenslust von Christina Taylor Green. Frisch gewählt ins Schülerparlament, habe die Neunjährige das Aufregende der Politik mit unverdorbenen Augen entdeckt. Geboren am 11. September 2001, gehörte sie zu den 50 Babys aus 50 Bundesstaaten, die im Bildband "Gesichter der Hoffnung" vorgestellt wurden. "Ich hoffe, du wirst in Pfützen springen", lautete damals ein Wunsch für Christina. Der Präsident griff das Motiv auf. "Wenn es Pfützen gibt im Himmel, dann springt Christina heute hinein." Schließlich Jubel, als er das Neueste aus der Klinik erzählte. Gabrielle Giffords, die Abgeordnete, die nach einem Kopfschuss dort liegt, konnte Mittwochabend zum ersten Mal ihre Augen öffnen. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2011)