"Uns vereint nicht Liebe, sondern Ekel / wohl deshalb liebe ich sie so sehr", dichtete Jorge Luis Borges einmal über Buenos Aires, die Stadt, an der er vor allem das Zerfasern in der Ebene der Pampa liebte. An dieser Nahtstelle spaziert er einmal mit Drieu La Rochelle, der ihm von "la vertige horizontal" erzählt, dem "horizontalen Schwindel"- für Borges der Begriff für seine Empfindung und treffendste Beschreibungen der Pampa. Durch diese Ebene gelangt auch Leopold Federmair in die Stadt. Der österreichische Literaturwissenschafter und Übersetzer besucht Argentinien seit den 1980er-Jahren. Sein Band Buenos Aires, Wort und Fleisch versammelt nun Essays, die auf eine oft schöne, manchmal etwas irritierende Weise der Pampa ähnlich sind: Sie haben kaum einen Anfang und führen nicht notwendigerweise irgendwohin. Es sind Besuche, Begegnungen, Streifzüge, denen der Leser hier folgt, der Autor ist zunächst einmal Tourist.

Allerdings wird schnell deutlich: Der Aufhänger (ein Schlachthof, ein Wohnviertel, ein Friedhof) ist eher nebensächlich, die Essays wollen keine Fallhöhe und wenig Thesen bieten. Wichtiger sind für Federmair die Autoren, die an den jeweiligen Orten leben, die Erzählungen, die von hier ausgehen, die literarischen Welten, die sich entfalten. Durch diese reist er kundig und zielführend: Siedlungen, Häuser, Plätze und Gesten bekommen Form, Charakter und Gewicht erst durch ihren literarischen doppelten Boden. Gespräche mit den Autoren selbst sind ein Vergnügen - vor allem das Treffen mit César Aira ist wunderbares, sehr persönliches Feuilleton: Federmair gelingt es, den Autor bis knapp vor die literaturwissenschaftliche Grenze vorzustellen und einzuordnen, um dann wieder zum Gespräch im Café zurückzukehren.

Solche Gespräche leben vor allem davon, dass Federmair in ihnen ein gleichberechtigter Partner ist, er kann sacht durch die Verweise und Untiefen einer Unterhaltung von Literaten führen (und ist damit jedem Journalisten haushoch überlegen) und zielt nicht auf vereinfachende Zuspitzung, stilistischen Glanz, oder zwingende Dramaturgie. Federmair wendet sich wie ein Reiseführer seinem Publikum zu und erklärt die Begebenheiten persönlich. Die Schriftsteller selbst werden in den besten Momenten von Federmairs Ausdeutungen zu einem Rätsel, für dessen Entschlüsselung man eben die Erzählungen studieren muss: "Der Himmel war dunkelblau, als ich einen Bus der Linie 60 in der Callao-Straße nahm. , Der Sechziger fährt überall hin', hatte Aira im Celta gesagt. Alltäglichkeiten wie diese - eine sich vielfach verzweigende Buslinie - sind es, die den Dichter inspirieren."

Ob allerdings die Buchmitte touristische Schnappschüsse in kleinem Format und mäßiger Druckqualität versammeln muss, wird - ebenso, wie das recht passive Lektorat - ein Geheimnis des Verlegers bleiben. Dennoch: Wer für Argentinien einen ernsthaften literarischen Reiseführer benötigt, ist mit Federmair gut beraten. (Lennart Laberenz, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 15./16. Jänner 2011)