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Kunst- und Künstlerfreund Bruno Kreisky wollte eine Avantgarde-Ausstellung; von Ministern und Künstlern wurde sie zu Fall gebracht.

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Der Wiener Galerist John Sailer.

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Am Samstag wird im Burgtheater diskutiert.

Bruno Kreisky war ein Avantgardist unter Österreichs Politikern. Ein belesener und bekennender Kunst- und Künstlerfreund, der um die imagebildende Bedeutung von Kultur Bescheid wusste.

Hans Hollein und Adolf Frohner mussten also nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, als sie dem Kanzler Ende der 1970er-Jahre die Idee vortrugen, mit einer Avantgarde-Ausstellung in den USA das Österreich-Bild international aufzupolieren. Kreisky beauftragte John Sailer, den Besitzer der Wiener Galerie Ulysses, mit der Umsetzung.

Um staatlichen Einfluss zu vermeiden, gründete Sailer die Avantgarde GesmbH und lud internationale Kuratoren ein: den deutschen Biennale-Kommissär und Museumsdirektor Mönchengladbachs, Johannes Cladders; Carl Haenlein von der Kestnergesellschaft in Hannover; den Ausstellungsmacher Harald Szeemann; die New Yorker Avantgarde-Filmer Jonas Mekas und P.Adams Sitney; sowie den Leiter des Amsterdamer Van Abbemuseums und späteren Documenta-Chef Rudi Fuchs.

Diese wiederum wählten Hans Hollein, Walter Pichler, Günter Brus, Hermann Nitsch, Peter Kubelka und Arnulf Rainer aus. Erster Schauplatz von Rituals. An Austrian Phenomenon sollte ein Museum in Washington, sein. Doch das Projekt scheiterte am Widerstand einiger Minister sowie von Künstlerkollegen, die sich nicht auf der Liste befanden.

STANDARD: Es gab in den 1970er-Jahren sicher mehr österreichische Avantgardekünstler als diese sechs. Waren Sie tatsächlich überrascht, dass sich Adolf Frohner, ursprünglich einer der Ideengeber, ausgebootet fühlte?

Sailer: Ich hatte ihn natürlich auf der Liste. Die Kuratoren fanden, dass er nicht in das von ihnen entwickelte Konzept passte. Das sollte aber kein Werturteil sein.

STANDARD: Wer war letztlich verantwortlich dafür, dass die Ausstellung geplatzt ist?

Sailer: Das Außenministerium hat das von Kreisky zugesagte Geld nicht hergegeben, mit der Begründung, dass die Letztentscheidung nicht bei den Kuratoren liege. Es gab eine Expertise des Unterrichts- und Kulturministeriums, dass die Ausstellung nicht repräsentativ sei für die österreichische Avantgarde. Eine schöne österreichische Variante ist, dass ich vom Außenminister beauftragt wurde, auf Staatsspesen nach Washington zu fliegen, um die Angelegenheit ohne Skandal zu beenden. Es war schon ungewöhnlich, dass eine Regierung etwas in Auftrag gibt, das von internationalen Kuratoren umgesetzt wird, und es dann absagt.

STANDARD: War diese Absage nicht ein Scheitern Bruno Kreiskys?

Sailer: Kreisky versuchte über seinen Schatten zu springen und etwas zu fördern, was im Widerspruch zum Staat lag. Er war seiner Zeit voraus. Einige seiner Minister wollten oder konnten diesen Schritt noch nicht machen. Kreisky verließ sich auf die internationale Expertise, selbst wenn ihm die Auswahl auch nicht in allen Konsequenzen gefallen haben mag. Es war der Versuch, eine nicht von der Staatsmacht bestätigte Künstlergruppe im Ausland zu zeigen. Doch dann wollte man doch nicht auf diese Macht verzichten. Es war die Quadratur des Kreisky, des Kreises, die nicht möglich war.

STANDARD: Das Unterfangen nannte sich Avantgarde GesmbH. Was verstehen Sie unter Avantgarde?

Sailer: Die Diskrepanz zwischen dem Establishment und einer kleinen Gruppe von Künstlern, die dazu im Widerspruch steht und deren Arbeiten mit dem allgemeinen Kunstverständnis nicht übereinstimmen

STANDARD: Jene Künstler, die damals teilnehmen hätten sollen, sind heute total arriviert. War Rainer nicht schon damals einer der anerkanntesten Künstler? Wie lange bleibt denn Kunst Avantgarde?

Sailer: Im Allgemeinen sagt man: eine Generation. Heutzutage nicht länger als zehn, fünfzehn Jahre.

STANDARD: Ist der Begriff der Avantgarde heute überhaupt noch anwendbar?

Seiler: Seit den 1970er-Jahren, seit Beginn der Pop Art, gibt es keine Avantgarde mehr. Natürlich wäre es theoretisch denkbar, dass, unerkannt vom Kunstestablishment, irgendwo jemand sitzt und etwas völlig Neues macht. Doch das ist unwahrscheinlich, weil das Verständnis für die Avantgarde, für das Neue, so angewachsen ist, dass es sofort umarmt und vereinnahmt wird. Oder, anders gesagt: "If museums show it, critics like it, dealers sell it: It's probably not Avantgarde Art." Die Kommerzialisierung hat die Kunst weniger interessant gemacht.

STANDARD: So betrachtet war die Avantgarde dann aber schon in den 70er-Jahren, als Sie die Avantgarde-Ausstellung konzipierten, ein obsoleter Begriff.

Sailer: Es war an der Kippe. Und es ging uns auch um einen Rückblick: Gab es in Österreich eine eigenständige Entwicklung, die sich von der anderer Länder maßgeblich unterschied? Und die gab es. Aber ich war ehrlich gestanden von Anfang an skeptisch, weil ich den Widerspruch gesehen habe: dass sich das Establishment plötzlich der Avantgarde annehmen will.

STANDARD: Wird die Kunst von der Politik heute zu Tode umarmt?

Sailer: Der Staat hat gelernt, die kritischen Geister zu vereinnahmen. Und die sind glücklich darüber. In Wirklichkeit lebt doch die sogenannte Avantgarde davon, dass sie zum Staat geht und sagt: Bitte fördert uns! Und der Staat macht das auch liebend gerne.

STANDARD: Andererseits kann doch genau diese staatliche Förderung ermöglichen, dass neue Kunst ohne Druck des Marktes wachsen kann?

Sailer: Natürlich bin ich dafür, dass jeder Künstler, egal ob gut oder schlecht, zum Zahnarzt gehen, seine Miete zahlen kann, nicht hungrig ist, sein Leben bestreiten kann. Aber das soll ausschließlich nach sozialer Bedürftigkeit entschieden werden, nicht nach Qualitätskriterien. Der Staat, die öffentliche Hand, sollte nicht mittels Subventionen entscheiden, was gute oder schlechte Kunst ist. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 15./16. Jänner 2011)