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Parlamentspräsident Foued Mebazaa wurde am Samstag als Übergangs-Präsident angelobt

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Soldaten patrouillieren in den Straßen von Tunis.

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Diese Forderung der Demonstranten wurde am Freitag Abend erfüllt.

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Die Regierung wurde als Konsequenz der Proteste entlassen.

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Der mittlerweile nach Saudi Arabien geflohene Präsident Ben Ali bei einer Fernsehansprache am 13. Jänner.

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Tunis/Paris/Salzburg/Wien - In Tunesien hat sich die Lage nach den schweren Unruhen der vergangenen Tage etwas beruhigt. In der Hauptstadt Tunis waren in der Nacht zum Sonntag nur noch vereinzelt Schüsse zu hören, nachdem es in der Nacht zuvor noch heftige Schießereien gegeben hatte. Nach den Brandstiftungen der vergangenen Tage hing weiter beißender Rauch über der Stadt. Es gab allerdings keine Anzeichen für frische Brände. Soldaten mit Panzern blieben im Stadtzentrum postiert, um weitere Plünderungen wie nach der Flucht des ehemaligen Präsidenten Zine Al-Abidine Ben Ali am Freitag zu verhindern.

Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi wollte die Gespräche mit der Opposition über eine Regierung der nationalen Einheit am Sonntag fortsetzen. Der neue Übergangspräsident Fouad Mebazza (77) hatte ihm den Auftrag dazu erteilt. Nach der Verfassung müssen außerdem binnen 60 Tagen Präsidentenwahlen stattfinden.

In Tunis ist die Armee am Sonntag weiter gegen Mitglieder der Leibgarde von Ex-Machthaber Zine el Abidine Ben Ali vorgegangen. Die früher direkt dem Präsidenten unterstellten Sicherheitskräfte weigerten sich, aufzugeben, hieß es am Vormittag in Tunis. Die erneuten Schießereien in der Nacht stünden vermutlich damit in Zusammenhang. Wie viele Verletzte oder sogar Tote es bei den Auseinandersetzungen gab, war zunächst unklar.

Weiter Ausnahmezustand

Der Ausnahmezustand gilt weiter. Die AUA brachte am Samstagabend mit einer Sondermaschine aus dem Touristenzentrum Monastir 92 österreichische Urlauber in ihre Heimat zurück. Sie berichteten vom Chaos in dem nordafrikanischen Land.

"Die Fahrt zum Flughafen in Monastir war ein wirkliches Abenteuer. Überall waren bewaffnete Leute. Es waren überall Feuer, Raffinerien brennen dort, hunderte über hunderte Menschen sind auf der Straße", sagte die Wienerin Birgit H. (39) nach der Landung der AUA-Maschine um 23.00 Uhr in Wien-Schwechat. Die 68-jährige Dorli K. berichtete von Schüssen im Urlaubsort Sousse, in dem sie seit 15 Jahren alljährlich überwintert. Das Hotel sei am Abend "verriegelt" worden, "Frauen haben geschrien, Kinder haben geweint, Hunde gebellt". Mit Ausnahme einer Engländerin sei kein Hotelgast geblieben, sagte die Pensionistin, die keine rosige Zukunft für Tunesien sieht: "Man hat das Gefühl, dass es ganz bald arg sein wird."

Die AUA hatte 49 Urlauber nach Wien gebracht, bei einem Zwischenstopp um 21.43 Uhr in Salzburg waren 43 Touristen ausgestiegen. Einige der Heimkehrer sprachen dort von einem "Krieg", den sie nicht noch einmal erleben wollten. Ein Ehepaar aus dem steirischen Rottenmann sagte dagegen, dass es im Urlaubsort Hammamet "gar nichts gemerkt" habe. Der Reiseveranstalter Thomas Cook gab am Samstagabend bekannt, alle seine 2.000 deutschen Urlauber ausgeflogen zu haben. Bis 21. Jänner wurden alle Reisen von Deutschland nach Tunesien abgesagt.

Zweiter Übergangspräsident ernannt

In Tunis ernannte der Verfassungsrat am Samstag mit Mbazaa den zweiten Übergangspräsidenten innerhalb von 24 Stunden. Zunächst hatte Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi die Amtsgeschäfte des am Freitag durch Massenproteste zum Rückzug gezwungenen Ex-Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali übernommen. Ben Ali hatte Tunesien 23 Jahre autoritär regiert. Proteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit hatten sich überraschend zu einem Volksaufstand ausgeweitet. Ben Ali setzte sich daraufhin ins saudi-arabische Exil ab. In der früheren Kolonialmacht Frankreich sind Ben Alis Familienmitglieder nämlich nicht willkommen, Paris will auch verdächtige Finanztransaktionen seiner Clan-Mitglieder stoppen.

Mbazaa soll nun Neuwahlen vorbereiten. Er forderte zudem Ghannouchi auf, einen Vorschlag für eine Regierung der nationalen Einheit zu machen. In diese sollen auch Oppositionskräfte eingebunden werden. Laut dem Chef der oppositionellen "Demokratischen Fortschrittspartei" (PDP), Najib Chebbi, sollen innerhalb von sechs bis sieben Monaten Neuwahlen stattfinden. Dazu sollen aber nur bisher legale Parteien zugelassen werden, was die islamistische Partei "Ennahdha" (Wiedererweckung) ausschlösse. Ihr im Londoner Exil lebender Chef Rached Ghannouchi hat dennoch bereits seine Rückkehr nach Tunis angekündigt.

Gaddafi kritisiert Unruhen Bürger

Der libysche Staatschef Muammar Gaddafi hat die Tunesier für die Ausschreitungen, die zur Flucht des Präsidenten führten, kritisiert. "Es tut mir sehr weh, was in Tunesien gescheht", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Jana den Revolutionsführer des Nachbarlandes am Samstag. "Tunesien lebt jetzt in Angst." Die Tunesier erlebten Blutvergießen und Gesetzlosigkeit, weil die Menschen in aller Eile versucht hätten, ihren Präsidenten loszuwerden. Dabei habe Staatschef Zine al-Abidine Ben Ali ihnen doch versichert, nach drei Jahren sein Amt aufzugeben.

Allzu frühe Wahlen befürchtet

Manche Tunesier beobachten die Vorbereitungen auf rasche Neuwahlen mit Argwohn. "Wenn jetzt schnell eine Wahl organisiert wird, kann die Opposition sich nicht organisieren", kommentierte der 25-jährige Elias Nefzaoui am Sonntagabend in Tunis. Tunesien sei Demokratie nicht gewohnt, Oppositionspolitiker hätten unter Präsident Ben Ali kaum eine Chance gehabt, bekanntzuwerden. "Wenn wir zu früh wählen, kommen wieder Leute aus dem alten System an die Macht", so Nefzaoui.

Über der Hauptstadt Tunis waren am Samstag wieder Rauchsäulen aufgestiegen. Schon in der Nacht hatten Brandstifter trotz Ausgangssperre Feuer gelegt, unter anderem in einem Bahnhof. In der Nacht auf Sonntag waren erneut Schüsse zu hören. Tunesische Journalisten vermuteten, dass die Armee gegen die Mitglieder der Leibgarde Ben Alis vorgeht. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst aber nicht. Viele Tunesier vermuten auch, dass sich Miliz-Angehörige an den Plünderungen beteiligen. Politiker sprachen dagegen von Kriminellen, die das Machtvakuum ausnützen. In einigen Vierteln von Tunis bewaffneten sich die Bewohner mit Stöcken und Knüppeln, um ihre Häuser zu schützen.

Nächtliche Ausgangssperre

Wegen der nächtlichen Ausgangssperre saßen Hunderte Menschen am Samstagabend am Flughafen von Tunis fest. "Die Lage ist angespannt, niemand darf den Flughafen verlassen", sagte ein Soldat. Den Restaurants ging das Essen aus, Reisende versuchten, auf dem Boden zu schlafen und deckten sich mit Kleidungsstücken zu.

Nach dem Gefängnisbrand in Monastir erhöhte sich die Zahl der Toten seit Beginn der Unruhen im Dezember auf mehr als 130. Nach ersten Erkenntnissen hatten Häftlinge ihre Matratzen in Brand gesteckt. Die Flammen hätten dann schnell auf das gesamte Gebäude übergegriffen. Dutzende Häftlinge starben in den Flammen. Als andere zu fliehen versuchten, schossen Wärter auf sie. Bei dem Gefängnisbrand in der Stadt Kasserine gelang es zahlreichen Häftlingen nach Augenzeugenberichten, rechtzeitig vor Flammen oder Schüssen zu fliehen.

Ben Ali verbrachte seinen ersten Tag im saudi-arabischen Exil

Nach seiner überstürzten Flucht verbrachte Ben Ali am Samstag seinen ersten Tag im saudiarabischen Exil. Die Behörden des Königreichs bewahrten Stillschweigen über seinen genauen Aufenthaltsort. Sie teilten lediglich mit, den Präsidenten und seine Familie "den besonderen Umständen entsprechend" empfangen zu haben. Augenzeugen zufolge fuhr ein Fahrzeugkonvoi kurz nach Ben Alis Landung in der Hafenstadt Jeddah in Richtung eines am Meer gelegenen Luxushotels des Nobelviertels El Hamra. Laut der amtlichen libyschen Nachrichtenagentur Jana telefonierte Ben Ali am Samstag mit dem libyschen Revolutionsführer Muammar el Gaddafi.

Der gestürzte tunesische Staatschef pflegt seit langem enge Beziehungen zu den Angehörigen des saudiarabischen Königshauses, vor allem zu Innenminister Prinz Najef Ben Abdel Asiz. Saudi Arabien hatte schon in der Vergangenheit Staats- und Regierungschefs Exil geboten. Der berühmteste ist der ehemalige ugandische Diktator Idi Amin Dada, der 1979 ebenfalls in Jeddah Zuflucht suchte und bis zu seinem Tod 2003 dort lebte. Zuletzt verbrachte der ehemalige pakistanische Staatschef Nawaz Sharif knapp acht Jahre im saudi-arabischen Exil, er floh im Jahr 2000 nach dem Putsch von General Pervez Musharraf in das Königreich am Golf.

(APA/AFP/Reuters/dapd)