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Foto: Reuters/Pelissier

Tunesiens geflohener Staatschef Zine el-Abidine Ben Ali hat sein Land gerne als „Singapur am Mittelmeer“ bezeichnet – ein autoritär geführter Staat, der  seinen Bürgern statt Freiheit viel Wachstum und Wohlstand bietet. Und vielleicht wäre dieses Szenario tatsächlich aufgegangen – Tunesien hat sein BIP unter Ben Alis Herrschaft verdreifacht und galt als das wettbewerbsfähigste Land in Nordafrika – wäre da nicht seine schreckliche Familie gewesen.

Es war die Korruption seines eigenen Clans und vor allem dem seiner Frau Leila, der Trabelsis, die das Regime in der Bevölkerung so verhasst gemacht und auch die wirtschaftlichen Erfolge massiv getrübt hat. Anders als Singapur langjähriger Machthaber Lee Kuan Yew wird Ben Ali nicht als Vater eines Wirtschaftswunders, sondern als raffgieriger Kleptokrat in die Geschichtsbücher eingehen.

Schuld daran war weniger seine autoritäre Persönlichkeit als das kulturelle Umfeld, in dem diese Mann die Macht gewonnen und ausgeübt hat. Korruption gibt es in aller Welt, aber die Clan-Wirtschaft, die in Tunesien so intensiv geherrscht hat, ist für arabische, islamische und afrikanische Staaten besonders typisch.

Denn in diesen Kulturkreisen bleibt die Loyalität zur eigenen Familie die stärkste Verpflichtung für jeden Einzelnen. Wer es hier zu etwas bringt, von dem wird erwartet, dass er die Früchte des Erfolgs mit Familie und Verwandten teilt. Und wer Macht besitzt, wird seinen Einfluss selbstverständlich dafür nützen, dass die Mitglieder seines Clans auch etwas davon haben.

Die wenigsten empfinden dabei ein Unrechtsbewusstsein. Im Gegenteil: Wer sich nicht um seine Familie und Verwandtschaft sorgt, der würde moralisch zutiefst verwerflich handeln.

Wenn ein Präsident und seine Ehefrau aus einfachen Verhältnissen kommen, dann stehen sie unter noch größerem Druck der Angehörigen, die nun zum ersten Mal das große Glückslos gezogen haben. Und da niemand weiß, wie lange dieses Glück anhalten wird, muss auf Teufel komm raus abkassiert, gestohlen und geraubt werden.

Nur ein sehr prinzipienstarker Herrscher kann diesen ständigen Wünschen aus dem eigenen Clan widerstehen. Und das Prinzip, dass ein Politiker dem Gemeinwohl und nicht der Familie verpflichtet ist, wird in weiten Teilen der Welt ignoriert oder zumindest nicht ernst genommen.

Man kann drei Formen von Korruption unterscheiden:

Manche Länder haben eine demokratische Korruption: Jeder, der es kann, lässt sich bestechen, vom Polizisten über Lehrer bis zum Arzt. Und jeder Bürger weiß dort, dass ohne Schmiergeld gar nichts geht, und hofft, dass man selbst einmal daran teilhaben kann. Solche Länder sind meist arm und ineffizient, aber die Korruption wird akzeptiert.

Anderswo herrscht eine zentralistische Korruption: Die Herrschenden kontrollieren die wirtschaftlichen Ressourcen und nutzen sie zum eigenen Machterhalt. Dazu gehört auch, für das Wohl der Bürger so weit zu sorgen, dass sich diese nicht erheben. Jahrhundertelang hat der Feudalismus und Absolutismus in Europa nach diesem System funktioniert – und oft gar nicht so schlecht.

Die schlimmste Form ist die oligarchische Korruption – dort, wo ein kleiner Kreis sich auf Kosten der Mehrheit bereichert.   Dass können Seilschaften sein – wie Wladimir Putins Silowikis oder auch ein wenig KHGs Freundeskreis – oder auch Familienmitglieder. Ein Bruder oder Schwiegersohn lässt sich noch versorgen, ohne dass man es allzu sehr merkt. Aber wenn man in einem Land lebt, wo sich auch entfernte Verwandte zur Familie zugehörig fühlen, dann wird die Zahl der räuberischen Mitesser rasch sehr, sehr groß.

Die Kosten für die Wirtschaft einer solchen Korruption sind horrend, und der Zorn der übrigen  Bevölkerung meist kräftig. Oligarchische Korruption ist die Quelle, die Volksaufstände wie die in Tunesien speist. Das gleiche könnte auch in Ägypten oder Kasachstan geschehen.

Aber selbst wenn die Herrscherclique vertrieben ist, bedeutet das nicht das Ende der Korruption. Oft sind die neuen Eliten genauso korrupt wie die alten. Und weil sie wissen, dass ihre Zeit an der Macht beschränkt ist,  nehmen sie sich noch schneller, was immer sie können.

Es braucht mehr als einen Umsturz, um ein Land von diesen zutiefst zerstörerischen Praktiken zu befreien. Es braucht einen tiefgreifenden kulturellen Wandel, und der kann, wenn er überhaupt je kommt, Generationen dauern.