
In Wiener Neustadt beginnt heute Montag die strafrechtliche Aufarbeitung der Insolvenz der Handelskette Libro. Fünf Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die Telekom Austria hat sich als Privatbeteiligter dem Verfahren angeschlossen.
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Wien - Kurz vor dem Absturz sah es so aus, als seien dem Expansionsdrang Libros keine Grenzen gesetzt. 1998 kaufte Libro die deutsche Buchhandelskette Amadeus. Ein Jahr später stieg der Medienhändler mit "Lion.cc", einem Onlineshop, in den boomenden Internetmarkt ein. Im November erfolgte dann der Börsengang. Die Telekom Austria erwarb 25 Prozent plus eine Aktie, um gemeinsame Pläne beim Ausbau des Telefoniegeschäftes zu forcieren. Und noch im selben Jahr wurde Firmenchef Andre Rettberg von Wirtschaftsjournalisten zum Manager des Jahres gewählt.
Wenig später folgte der tiefe Absturz: Wie sich herausstellte, kämpfte Libro mit schweren Liquiditätsproblemen. Im Juni 2001 musste das Unternehmen den Ausgleich beantragen, ein Jahr später den Konkurs. Der Kreditschutzverband KSV beziffert die Libro-Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Antrages heute mit 305 Millionen Euro. Damit ist Libro die fünftgrößte Pleite Österreichs. 2002 beschäftigte das Unternehmen rund 2400 Mitarbeiter.
Die Vorgänge rund um den Börsengang stehen im Mittelpunkt des heute Montag, am Landesgericht Wiener Neustadt beginnenden Strafverfahrens gegen die frühere Libro-Führung. Angeklagt sind der Ex-Libro-Generaldirektor Rettberg, Ex-Finanzvorstand Johann Knöbl, Ex-Aufsichtsratsvorsitzender Kurt Stiassny (damals Chef des Mittelstandsfinanzierers UIAG), dessen Stellvertreter Uni-Professor Christian Nowotny (WU-Wien) sowie Wirtschaftsprüfer Bernhard Huppmann.
Erinnerungslücken
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Untreue, Betrug und Bilanzfälschung vor. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Alle fünf Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück, für sie gilt die Unschuldsvermutung. Die Unternehmensführung soll den Abschluss 1998/99 manipuliert haben, um so Investoren zum Kauf von Aktien zu verleiten. "Bei korrekter Erstellung des Konzernabschlusses von Libro zum 31.8. 1999 wäre anstelle des darin ausgewiesenen Eigenkapitals von 8,8 Mio. Schilling ein negatives Eigenkapital und damit eine buchmäßige Überschuldung der Libro AG ausgewiesen worden", heißt es in der Anklageschrift.
Daneben wird dem Management eine unrechtmäßige Dividendenausschüttung (Sonderdividende) vor dem Börsengang in Höhe von rund 31 Mio. Euro vorgeworfen. Prozessiert wird in Wiener Neustadt, da die Libro AG in Guntramsdorf ansässig war.
Dem Verfahren haben sich laut Landesgericht bisher 14 Privatbeteiligte bzw. Vertreter angeschlossen, darunter auch die Telekom Austria. Die Telekom erwarb ihren Libro-Anteil 1999 um knapp 1,176 Milliarden Schilling (85,5 Mio. Euro), musste ihre Beteiligung aber noch im Jahr 2000 vollkommen abschreiben.
Hätte der Prozess gegen Libro früher begonnen, hätten sich dem Verfahren weit mehr geschädigte Anleger angeschlossen, sagte Wilhelm Rasinger, Chef des Interessenverbandes für Anleger (IVA) zur APA. "Irgendwann lässt das Interesse nach." Es sei frustrierend, dass die Aufarbeitung der Libro-Pleite erst nach rund zehn Jahren beginnt, meint Rasinger. Der Interessenverband der Anleger hat sich dem Prozess ebenfalls als angeschlossen. (APA, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.1.2011)