Standard: Sie haben Ihrer Bezirks-VP empfohlen, sich organisatorisch und personell zu erneuern. Warum?
Stenzel: Mehr als hundert Tage sind seit der verlorenen Wiener Wahl vergangen, und die Schrecksekunde in unserer Partei dauert mir schon zu lange. Wir halten uns mit parteipolitischer Nabelbeschau auf, tun uns ein bisschen zu viel selbst leid, und das führt dazu, dass es kein politisches Angebot mehr gibt für die Bürger.
Standard: Das klingt aber mehr nach einem Vorwurf an die Landes- und die Bundespartei als an die Bezirkspartei. Ist die ÖVP insgesamt zu wenig bürgerlich?
Stenzel: Wo immer ich hinkomme, reden mich die Bürger an und verlangen Deklarierung und Orientierung, was offenbar heißt, dass ihnen das bis jetzt bei uns abgeht. Dabei wäre es nicht so schwierig. Es geht um den bürgerlichen Wertekanon und darum, zu diesem auch zu stehen. Ich spreche nicht einer nostalgischen Rückwärtsgewandtheit das Wort, sondern von einem zeitgemäßen Bekenntnis zu Eigenverantwortung, Eigenleistung und Nachhaltigkeit in jeder Hinsicht. Dazu gehört auch das unbedingte Bekenntnis zur Familie. Das ist doch auch etwas, was die Jungen anspricht - da braucht man sich nur alle einschlägigen Umfragen anzusehen.
Standard: Sie verlangen also einen Programmparteitag der ÖVP?
Stenzel: Auch das, aber auch eine personelle Erneuerung. Es kann ja nicht sein, dass die Parteizukunft aus Menschen mit junger Fassade besteht, die in alten, eingefahrenen Funktionärsschienen denken und Karriere machen wollen. Und nur darauf bedacht sind, an die rote Mehrheit nicht anzuecken. Es ist doch erstaunlich, dass Erhard Busek der letzte ÖVP-Politiker ist, der in der Öffentlichkeit als bürgerlich wahrgenommen wurde.
Standard: Ist das eine Kritik an der Parteijugend?
Stenzel: Das können Sie ruhig so sehen. Ich mache mir wirklich Sorgen um das personelle Angebot für die Zukunft, das ist zum Teil katastrophal. Und eine ÖVP, die es in einer Stadt wie Wien nicht schafft, die schweigende Mehrheit der Bürgerlichen anzusprechen, ist ja überhaupt zu vergessen - wo, wenn nicht in Wien, sollte das gelingen? Wenn wir weiter zulassen, dass bürgerliche Werte kleingeredet und kleingeschrieben werden, dürfen wir uns nicht wundern, wenn ein Herr Strache Wählerstimmen absahnt. Wir sind ja schon so weit, dass man bei Google unter dem Begriff "bürgerlich" zu Strache und Hitler kommt. Das ist doch eine Frechheit: Bürgerlich und konservativ heißt doch nicht rechts.
Standard: Wem machen Sie hier einen Vorwurf? Tut Christine Marek zu wenig? Richtet sich Ihre Kritik an Josef Pröll?
Stenzel: Ich will es gar nicht an Personen festmachen, und ich meine, es sollten sich alle betroffen fühlen. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Christine Marek, und ich finde es auch gut, wie unser Vizekanzler und Finanzminister darauf achtet, dass das Budget nicht aus dem Ruder läuft - im Sinne der Nachhaltigkeit kann man ja nicht auf Kosten kommender Generationen leben. Auch seine Idee, Hauptschulen aufzuwerten, geht in die richtige Richtung.
Standard: Sie sind gegen Ganztagsschule und Neue Mittelschule?
Stenzel: Das können Sie mir nicht unterstellen. Ich glaube sogar, dass die Neue Mittelschule eine Chance sein kann. Aber die sozialistische Gleichmacherei ist kein bürgerlicher Zugang. Wir brauchen Leistungsanreize, und ohne die Einbindung von Mutter und Vater wird es letztlich nicht gehen. Das hat wiederum mit Eigenverantwortung zu tun - die Bürger können und wollen einbezogen werden in die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder.
Standard: Sind Sie, wie Nationalrat Ferdinand Maier, der Ansicht, die Erneuerung der Wiener VP sollte von den Bezirken ausgehen?
Stenzel: Ja, absolut. Warum denn nicht eine breite Debatte über bürgerliche Werte von der Basis aus führen?
Standard: Ist ein Online-Bürgerforum das Mittel dazu? Soll auch jeder, der gar nichts mit der ÖVP zu tun hat, über Funktionen und Köpfe in der Partei abstimmen?
Stenzel: Aber nein, mir geht es um eine Debatte. Die Menschen quatschen via Facebook über jede Bagatelle - da geht es endlich einmal um etwas Wichtiges. (Petra Stuiber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.1.2011)