Allen Menschen, die unter einem repressiven Regime leben oder gelebt haben, und allen, die mit jenen mitfühlen, sei die Genugtuung über die Ereignisse in Tunesien herzlich vergönnt. Nicht ein Militärputsch, nicht ein islamistischer Umsturz, nicht eine Intervention von außen, sondern Sozialproteste von unten haben den Herrscher einer besonders hässlichen kleinen Diktatur gestürzt. Es geht also doch: Das ist es, was sich Millionen von Unzufriedenen in der Region und darüber hinaus sagen.

Und doch legt sich über die Genugtuung schnell die Sorge. Tunesien ist weit davon entfernt, es "geschafft" zu haben. Noch sind die Milizen des geflohenen Präsidenten nicht in die Schranken gewiesen, noch nützen Kriminelle die labile Sicherheitssituation aus. Und noch haben viele einflussreiche Leute viel zu verlieren: Und diejenigen, die den Übergang verwalten, gehören dazu. Wer das "Es ist genug" gesprochen hat, blieb auch am Sonntag unklar, ob es aus der politischen Klasse kam oder doch vom Militär - das derzeit als eine neue Ordnung unterstützend auftritt.

Im Internet wird bereits für "Präsident Rachid Ammar" mobilisiert - das ist der Armeechef, der sich angeblich weigerte, auf die Protestierenden schießen zu lassen. Und ebenfalls im Internet fangen islamistische Gruppen an, vor eben diesem General zu warnen: Er stecke mit den USA, Frankreich und - natürlich - mit Israel unter einer Decke. Zwischen diesen Extremen spielt sich jetzt ab, was in Tunesien passiert. Die echten Demokraten können leicht dazwischen aufgerieben werden. Auch Wahlen allein garantieren nicht den Sieg liberaler Kräfte, auf das Umfeld, das in den nächsten Wochen bereitet werden wird, kommt es an. Da werden die Islamisten mitspielen, so viel ist sicher.

So sieht es in Tunesien aus - und in all den Ländern, in denen jetzt Unterdrückte revolutionäre Morgenluft wittern, ist es noch einmal anders. Alle jungen Leute in der arabischen Welt haben ähnliche Probleme wie die tunesischen Jugendlichen, die den Massenprotest ausgelöst haben. Und dennoch sind die Gesellschaften der Länder sehr unterschiedlich strukturiert. Auch der Kleinheit Tunesiens ist es zu danken, dass sich dort diese besonders starke, gebildete Mittelschicht formte, die sich ihre Rolle in der Gesellschaft nicht länger rauben lassen wollte. Das haben andere Länder in der Region auch, aber nicht in diesem Ausmaß. Und wieder andere - siehe Gaddafi in Libyen - haben Öleinnahmen, um Sektoren der Gesellschaft leichter ruhig zu halten. Andere Regime sind zumindest in Teilen der Bevölkerung emotional verankert.

Das tunesische war auch ein Beispiel eines Regimes, das völlig entideologisiert war und nur noch für sich selbst stand: quasi eine Mafia mit einem Land wie einem Unternehmen. So ein Regime ist viel leichter zu stürzen. Man denke nur an den Iran. Dort hätten auch doppelt so viele Demonstranten auf der Straße das islamistische Regime nicht vertreiben können. Es hat eine ganz andere Durchhaltefähigkeit als Ben Ali sie hatte.

Und Ägypten, wo jetzt die Emotionen hochgehen, ist wieder völlig anders: Dort ist das Regime nicht ideologisch, aber in Ägypten geht es nicht, wie in Tunesien, nur um Geld und interne Macht, sondern sehr wohl auch um Politik, um den politischen Platz Ägyptens in der Region und in der Welt. Gerade deshalb wäre es so wichtig, dass die Transition in die Post-Mubarak-Zeit luzide geplant würde. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 17.1.2011)