Die autofreie Siedlung in der Nordmanngasse in Floridsdorf wurde im Dezember 1999 fertiggestellt.

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Das Außergewöhnliche: Die Mieter verpflichten sich, auf den Besitz eines Autos zu verzichten. Das war nur möglich, da 1996 das Garagengesetz für dieses Projekt geändert wurde.

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Dadurch wurden Ausnahmen der 1:1 Stellplatzverpflichtung möglich. Das bedeutet, dass ein Abstellplatz pro Wohnung verpflichtend bereit gestellt werden muss. Die Tiefgarage ist dementsprechend mit Rädern vollgestellt, anstatt mit Autos.

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In der Siedlung gibt es viele Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten. Auch der Schilfteich, zentral im Innenhof gelegen, wird zum Beispiel von Freiwilligen gemeinsam gepflegt.

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Auf dem Dach gibt es Gemüsebeete. Die Nachfrage ist so groß, dass es ein Rotationsprinzip zwischen den Mietern gibt: Jedes Jahr darf jemand anderer gärtnern.

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Ein ähnliches Projekt wird seit 2007 an der Vorgartenstraße in Wien-Leopoldstadt erfolgreich umgesetzt.

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Auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs wurde die "Bike City" errichtet. Die Bewohner leben "Tür an Tür" mit ihren Rädern, denn in jedem Stockwerk gibt es mehrere Abstellmöglichkeiten.

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Die Nachfrage für solche Projekte ist groß: Für die 161 Wohnungen der Bike City hatten sich mehr als 4.000 Interessenten gemeldet.

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"Ein ruhender Körper fährt fort zu ruhen, wenn nicht eine Ursache ihn bewegt", heißt es im Gesetz der Trägheit. Dieser physikalische Lehrsatz lässt sich gut auf die "Masse Mensch" umsetzen. Oder, wie es Alec Hager von der IG Fahrrad ausdrückt: "Wir wählen das Verkehrsmittel, das am schnellsten und günstigsten ist." Zwei Wohnprojekte in Wien wollen die Entscheidung für das Fahrrad als Hauptverkehrsmittel erleichtern: Die Autofreie Siedlung in Floridsdorf und die Bike City in Leopoldstadt. Das Prinzip ist ähnlich, die Umsetzung unterschiedlich. Es geht darum, dem Auto weniger und dem Drahtesel mehr Raum zu geben. derStandard.at hat in den Siedlungen einen autofreien Rundgang gemacht.

Im Dezember 1992 stellten die Grünen im Wiener Gemeinderat den Antrag, in den Stadterweiterungsgebieten "autofreie Siedlungen" zu planen. Vorbilder gab es damals zum Beispiel in Bremen. Neben der Überzeugungsarbeit war vor allem die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen eine Herausforderung. Für dieses Projekt "Autofreie Siedlung" im 21. Wiener Gemeindebezirk wurde 1996 schließlich das Wiener Garagengesetz geändert: Seither ist eine Ausnahme der 1:1 Stellplatzverpflichtung möglich. Das bedeutet, das in diesem Fall pro Wohnung kein Parkplatz gesichert werden musste. Geplant wurde die erste autofreie Siedlung – sie umfasst 244 Mietwohnungen mit Eigentumsoption – von den ArchitektInnen Cornelia Schindler und Rudolf Szedenik, denen der Auftrag im Zuge eines Bauträgerwettbewerbs 1996 zugesprochen wurde.

Mietvertrag: Verzicht auf Auto

Im Dezember 1999 bezogen die ersten BewohnerInnen (oft) mit Kind, Kegel und Fahrrad ihre Wohnungen in Floridsdorf. Im Juni 2000 waren bereits 83 Prozent der Wohnungen vergeben. Die Bewohnerin Eva Favry berichtet von einem ungeplanten Nebeneffekt des urbanen Dorfes: "Es wurden hier besonders viele Kinder geboren, bzw. sind viele Familien mit kleinen Kindern eingezogen. Die Leute, die in den Hof herunter keppeln, haben hier also nicht viel zu sagen."

Eine Klausel im Mietvertrag verpflichtet die MieterInnen, dass sie kein eigenes Auto besitzen oder dauerhaft nutzen dürfen. "Das kann so natürlich nicht exekutiert werden. Dieser Punkt spielt aber auch keine allzu große Rolle zwischen den Mietern", versichert Favry. Ein hauseigener Car-Sharing-Betrieb ermöglicht es den BewohnerInnen dennoch, bei Bedarf mit dem Auto mobil zu sein. In der Tiefgarage befindet sich der Kleinwagen, der von allen genutzt werden kann.

Ansonsten dominieren auch in der Garage die Fahrräder. Für die hunderten Drahtesel gibt es auf die gesamte Siedlung verteilte Abstellplätze im Freien, in absperrbaren Boxen, im Keller und in der Tiefgarage. "Radfahrer sind noch ärger als Autofahrer, sie wollen keinen Schritt zu Fuß gehen", scherzt Favry. Die bequeme Nähe zum Fahrrad verführe daher dazu, es öfter zu nutzen. Doch auch die Sicherheit ist ein entscheidender Punkt, vor allem bei teureren Rädern, wie Alec Hager sagt: "Ein schönes Fahrrad bleibt in Wien oft nicht lange vor der Tür stehen."

Ergänzend zum umweltfreundlichen Konzept wird in der Wohnanlage der Großteil des Warmwassers durch die 450 Quadratmeter Sonnenkollektoren erzeugt. Für die Warmwasseraufbereitung gibt es außerdem eine Schmutzwasser-Wärmerückgewinnungsanlage. Das über die Wärmepumpenanlage abgekühlte Schmutzwasser fließt zum Behälter für die Nutzwasserrückgewinnung. Dort wird das Wasser wiederum aufbereitet, sodass es ein zweites Mal bakteriell einwandfrei, diesmal für die WC-Spülung, verwendet werden kann.

Schilfteich statt Parkplatz

Das Geld, das für die Errichtung der Parkplätze nicht ausgegeben werden musste, wurde für gemeinschaftliche Einrichtungen und eine großzügige Grünraumgestaltung verwendet. Die zukünftigen MieterInnen konnten schon während der Planungsphase mitgestalten. So gibt es zum Beispiel eine ehrenamtlich betriebene Fahrradwerkstatt am sogenannten "versunkenen Platz" (er liegt etwas tiefer als die ebenerdige Fläche).

Die Grünanlagen, wie der Schilfteich und die Gemüsebeetdächer, werden von den BewohnerInnen gepflegt. Im Sommer lädt ein breiter Steg zum Aufenthalt im "Teichhof" ein. Zudem fördern ein allgemeines Wohnzimmer, eine Sauna, Jugend- und Kinderzimmer und eine Werkstätten die Gemeinschaft. Das solle jedoch nicht in "Sozialterror" ausarten. "Wer lieber für sich bleiben will, wird in Ruhe gelassen", sagt Eva Favry. Die "Dorfgemeinschaft" in der Stadt bringe viele Vorteile, könne aber auch abschrecken, wie eine andere Mieterin berichtet. Es sei vorgekommen, dass Leute, die mehr Anonymität suchen, wieder weggezogen sind.

Rad vor der Tür in der Bike City

Mühsames Schleppen des Fahrrads über die Stufen, schwere Türen und dunkle, enge Abstellräume sind auch in der Bike City in der Vorgartenstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk tabu: Es gibt tageslichthelle Glasboxen in fast jedem Stockwerk, Nischen in den Laubengängen, Abstellbügel vor einigen Wohnungstüren, aber auch versperrbare Abstellboxen im Keller für besonders wertvolle Exemplare. Insgesamt gibt es rund 300 Abstellplätze im Hof und 215 Fahrräder im Haus. Schon vor der Siedlung fallen Radfahrstreifen auf der Straße auf, die fast so breit sind, wie jene für AutofahrerInnen.

Auch die Aufzüge sind großzügiger als Standardmodelle, darin finden sogar drei Räder mitsamt FahrerInnen Platz. Das erklärt, warum die MieterInnen ihre Räder besonders gern bis vor die Haustür mitnehmen. Denn eine Zählung hat ergeben, dass 10 Prozent der Drahtesel im Keller, 20 Prozent im Erdgeschoß und 70 Prozent in den Obergeschoßen stehen. "Bei uns wird aber nicht vorher gefragt, ob man ein Rad besitzt. Ich schätze, dass ein Drittel affin ist, ein Drittel sympathisiert und einem Drittel ist es schlicht egal", stellt Verkehrsplaner Michael Szeiler klar, der selbst in der Bike City wohnt.

Die 99 Mietwohnungen am Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs wurden 2008 fertiggestellt. Der Auftrag ging nach einem städtebaulichen Wettbewerb an die königlarch architekten. Im Gegensatz zu der Siedlung in Floridsdorf muss aber niemand laut Mietvertrag auf das Auto verzichten. In der Tiefgarage gibt es 56 PKW-Abstellplätze sowie die Möglichkeit zum Car-Sharing. Michael Szeiler berichtet: "Es gibt einige Leute, die unter der Woche alle Wege mit dem Rad erledigen, aber am Wochenende schon ab und zu mit dem Auto wohin fahren wollen."

Weitere Rad-Siedlung bis 2012

In Leopoldstadt entsteht bereits die zweite fahrradfreundliche Siedlung. Das Nachfolgeprojekt, die "Bike & Swim City", soll bis 2012 fertig sein. "Der Name hat nichts mit der Nähe zur Donauinsel zu tun. Mit dem Geld, das für die nicht gebaute Garage eingespart wird, soll ein Pool finanziert werden", erklärt der Grüne Gemeinderat Christoph Chorherr, der Initiator der Autofreien Siedlung und der Bike City war. Das Interesse an den neuen Wohnungen sei groß, sagt der Grüne. Die anfängliche Angst von Bauträgern, ob solche "autofreien" Siedlungen überhaupt auf genügend Interesse stoßen würden, sei damit entkräftet.

Spezielle Siedlungen für Radfahrer sind zwar ein guter Ansatz, doch für ganz Wien sei ein Lösungsansatz notwendig, fordert Alec Hager: "Wir haben noch keine Radkultur in Österreich. Es ist ein Bewusstseinssprung notwendig, dass das Rad ein Verkehrsmittel, und nicht nur Sport, Vergnügen oder etwas Exotisches ist." (Julia Schilly, derStandard.at, 18. Jänner 2011)