Das israelische Parlament (Knesset) ist an diesem Morgen besonders geschäftig. An der Sicherheitskontrolle stehen junge Männer und Frauen Schlange. Sie alle haben eines gemeinsam: die Anstecknadel der Organisation „One-Voice", und damit auch den entschlossenen Willen zu einer baldigen Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern.
Deswegen sind sie jetzt hier und eröffnen gemeinsam mit israelischen Parlamentsabgeordneten einen neuen Ausschuss zur Zwei-Staaten-Lösung. „Damit wir den Friedensprozess wieder in Gang bringen", erklärt John Lyndon, Leiter von One-Voice Europa. Er ist großgewachsen, trägt einen dunkelblauen Anzug, weißes Hemd und Krawatte. Und er gibt sich optimistisch, wie viele Andere hier.
Die Einweihung des neuen Ausschusses findet im „Jerusalem Saal" statt. Doch um Jerusalem geht es heute nicht, zumindest nicht direkt. Laut dem Kadima-Abgeordneten Yoel Hasson ist die Hauptaufgabe der neuen Lobby die Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern voran zu treiben. „Das soll erstens hier in der Knesset passieren, wo wir über Komitees Politik beeinflussen wollen. Zweitens werden wir unser Anliegen unter die Leute und auf die Straße bringen."
Langsam aber doch füllt sich der Saal. Nur Palästinenser sitzen keine am runden Tisch. Man hätte welche eingeladen, aber kommen wollte leider niemand, erklärt Hasson. Der runde rotbraune Konferenztisch in der Mitte ist geschmückt mit kleinen Namenskärtchen. Aber nicht nur die Palästinenser fehlen. Viele, die hätten kommen sollen, sind heute nicht hier. „Ein ungünstiger Tag", beteuert eine One-Voice Mitarbeiterin. Wegen der Abspaltung von Teilen der Arbeitspartei, angeführt von Verteidigungsminister Ehud Barak, konnten viele nicht kommen, sagt sie.
Rund um den Plenartisch sind Holzstaffeleien in einem Halbkreis aufgestellt. Auf jeder einzelnen steht eine Zukunftsvision in Form eines großformatigen Zeitungs-Titelblatts aus dem Jahr 2018. Diese Visionen sind Teil eines Wettbewerbs, der unter dem Titel „Imagine 2018" auf Facebook Menschen dazu aufruft, ihre Visionen vom Frieden in Form einer Schlagzeile zu kreieren. „Wir helfen Menschen dabei sich vorzustellen, wie Frieden aussehen kann", erklärt der Produzent der Kampagne.
Yoel Hasson bittet den Gewinner des Wettbewerbs ins Plenum. Dieser erklärt, dass Frieden für ihn nicht nur ein persönlicher Traum sei, sondern auch der Traum seiner Eltern und Großeltern. „Zwei, gemeinsam, immer", lautet seine Gewinner-Schlagzeile und soll darauf hinweisen, dass Israelis und Palästinenser ein Stück Land teilen und das immer so sein wird. Darunter ist ein Titelbild zu sehen, das zwei Kinder zeigt, die ihre Finger zu einem V-Zeichen spreizen.
An Visionen und Träumen für die Zukunft mangelt es nicht in diesem Saal. „Aber wir sollen uns nicht nur mit Sprüchen beschäftigen, sondern auch konkrete Arbeit leisten", sagt Nino Abesadze, von der Kadima-Partei. Ihre Stimme ist laut und bestimmt. Sie habe aber auch Angst, dass die politischen Entscheidungsträger erst an dem Tag realisieren werden, dass eine Zwei-Staaten-Lösung nötig sei, an dem Palästinenser wieder zu den Waffen greifen.
Neben der Hoffnung auf eine bessere Zukunft wird auch klar, dass viele der Anwesenden von der israelischen Politik enttäuscht sind. Tal Harris, der erst 25-jährige Leiter von One-Voice Israel, kritisiert die Kurzsichtigkeit der Politik. Er habe vor zwei Jahren als Student seinen Professor gefragt: „Warum hören wir immer, dass es in einem Jahr ein Friedensabkommen geben wird? Frieden kann man nicht in einem Jahr erreichen." Dieser habe geantwortet, dass es nur davon abhängt, ob die Menschen es wirklich wollen. „Ich bin mir sicher, dass alle Israelis und Palästinenser bereit für einen Kompromiss sind", gibt sich Harris zuversichtlich. „Nur werden wir es nicht akzeptieren, wenn uns unsere politische Führung vorgaukelt, es gäbe keinen Partner auf der anderen Seite." One-Voice möchte vor allem die moderate Mehrheit auf beiden Seiten des Konflikts stärken und so eine Zwei-Staaten-Lösung herbeizuführen. Eine schwierige Aufgabe, wie die Vergangenheit zeigt.
Für den Abgeordneten Schlomo Molla sitzen die Probleme tiefer in der Psyche der Gesellschaft: „Wir müssen unseren Kindern richtige Bildung geben anstatt sie als Kämpfer auszubilden. Wir müssen ihnen erklären, dass wir keine andere Wahl haben als eine Zwei-Staaten-Lösung, wenn wir in diesem Land bleiben wollen."
Plötzlich blicken alle zur Tür. Tzipi Livni, die israelische Oppositionsführerin und Vorsitzende der Kadima-Partei, stürmt in den Saal. Sie nimmt schnell Platz, schaut kurz um sich, lehnt sich nach vorne und spricht ins Mikrophon. „Wenn wir besorgt sind, und wir sind besorgt, dann müssen wir handeln. Die Menschen müssen verstehen, dass eine Zwei-Staaten-Lösung im Interesse Israels ist. Wenn wir keine Lösung finden, wird uns die internationale Gemeinschaft zu einer Lösung zwingen." Moderate Israelis hätten zwei Möglichkeiten, erklärt Livni. Sie können eine stille Mehrheit sein, oder aufstehen, demonstrieren und auf den Straßen und im Parlament etwas verändern. Nach einer knappen fünf-Minütigen Rede verlässt Livni wieder den Saal.
Das Team von One-Voice bereitet in der Zwischenzeit schon die nächste Botschaft vor. Das Licht wird verdunkelt. Tony Blair erscheint, projiziert auf eine Leinwand, und spricht als Repräsentant des Nahost-Quartetts von seiner Vision für 2018. „Meine Vision für 2018 sind zwei demokratische Staaten, Israel und Palästina, die nebeneinander in Frieden existieren, mit sicheren und anerkannten Grenzen."
Und welche konkreten Ziele setzt sich diese neue Initiative zur Zwei-Staaten-Lösung? „Kurzfristig wollen wir den Extremisten etwas entgegenhalten und das Thema im Parlament auf die Agenda bringen. Langfristig wollen wir natürlich eine Zwei-Staaten-Lösung erreichen. Zwei unabhängige Staaten nebeneinander. Einer für Palästinenser und einer für Israelis", erklärt Yoel Hasson.
Nach eineinhalb Stunden ist das Treffen zu Ende. Das Team von One-Voice montiert die Zukunftsvisionen wieder ab, klappt die Staffeleien zusammen und packt den Videoprojektor wieder in die Tasche. Am Weg nach draußen stehen den Gang entlang immer noch in etwa zwanzig leere Staffeleien, ohne Schlagzeilen von morgen. Vielleicht repräsentieren sie die fehlenden Visionen jener Israelis und Palästinenser, die (noch) nicht Teil der von One-Voice propagierten „moderaten Mehrheit" sind. (Andreas Hackl aus Jerusalem, derStandard.at, 17.01.2011)