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Mohamed ElBaradei ist skeptisch, was die Existenz des iranischen Atomprogramms betrifft.

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Wien - Der langjährige Chef der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) warf dem Westen vor, die Gefahren des iranischen Atomprogramms künstlich aufzubauschen. "In dieser Diskussion gibt es viel Hype", sagte ElBaradei. Er verwies auf Erkenntnisse der US-Nachrichtendienste aus dem Jahr 2007, wonach der Iran Studien zu Nuklearwaffen betrieben habe, die aber 2003 eingestellt worden seien. "Diese Einschätzung trifft heute immer noch zu."

ElBaradei schloss nicht aus, dass die Iraner in den 1980er Jahren tatsächlich die Möglichkeit einer Entwicklung von Atomwaffen geprüft haben. Damals sei das Land in einen "fürchterlichen Krieg" mit dem Irak verwickelt gewesen, der auch chemische Waffen eingesetzt habe. "Jedes Land in dieser Situation hätte daran denken müssen, wie es sich verteidigt." Mittlerweile diene das Atomprogramm aber nur dazu, dem Iran die Anerkennung als "bedeutender Spieler im Nahen Osten" zu verschaffen.

Gorillas Teheran und Washington

"Die Iraner sind der Meinung, dass die Uran-Anreicherung ein Mittel zum Zweck ist", sagte der langjährige oberste UNO-Atomkontrollor. Beherrsche ein Land die Technologie zur Uran-Anreicherung, "kann man in relativ kurzer Zeit Atomwaffen entwickeln". Teheran glaube, dass dies "eine starke Botschaft an die restliche Welt und die Nachbarn aussenden" würde und insbesondere die USA an den Verhandlungstisch zwingen würde. Zwischen "den beiden Gorillas" Teheran und Washington gebe es nämlich viel Misstrauen, das abgebaut werden müsse: Von der CIA-Rolle beim Sturz der Regierung Mossadeq im Jahr 1953 über die Teheraner Geisel-Krise 1979 bis zum "Achse-des-Bösen"-Ausspruch des früheren US-Präsidenten George W. Bush im Jahr 2002.

"Unrealistische Forderungen" des Westens

Dem Westen warf ElBaradei vor, eine Verständigung mit dem Iran in den vergangenen Jahren durch "unrealistische Forderungen" vereitelt zu haben. So wollte Ex-US-Präsident Bush, "dass sich die Iraner noch vor den Verhandlungen nackt ausziehen, was kein Land tun würde". Unter seinem Nachfolger Barack Obama seien die Voraussetzungen besser, da dieser für Gespräche ohne Vorbedingungen sei. "Daher hege ich große Hoffnungen, dass wir bis zum nächsten Jahr eine Lösung der iranischen Frage sehen werden."

Eine Einigung zwischen dem Westen und Teheran wäre eine "Win-Win-Situation für alle". Der Iran sei nämlich neben der Türkei die wichtigste Regionalmacht im Nahen Osten. "Der Iran könnte der Schlüssel zur Stabilität im Nahen Osten sein, ohne iranische Beteiligung wird es schwer, sowohl das Afghanistan-Problem, als auch die Palästinenser-Frage oder den Syrien-Libanon-Komplex zu lösen", sagte ElBaradei.

Pessimistisch für Frieden im Nahen Osten

Pessimistischer äußerte sich der ägyptische Spitzendiplomat im Nahost-Konflikt. Hier wisse man schon seit über 40 Jahren, wie die Lösung aussehen werde: Zwei Staaten in den Grenzen von 1967, ein Sonderstatus für Jerusalem und eine gerechte Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge. "Leider gibt es aber eine sehr rechtsgerichtete Regierung in Jerusalem, die weiterhin palästinensisches Land schluckt und die Spielregeln ändert. Sie können das tun, sie haben die Macht, aber langfristige Sicherheit werden sie so nicht erlangen". Sicherheit für Israel gebe es nur durch eine Lösung, die auch von den Palästinensern als fair und gerecht angesehen werde. "Je länger wir die Lösung aufschieben, umso schlimmer wird es."

Eindringlich warb ElBaradei auch dafür, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen. "Man muss das große Ganze im Auge behalten. Ein Nein zum EU-Beitritt der Türkei wäre eine entsetzlich falsche Botschaft an den Rest der Welt." Die EU würde damit signalisieren, dass sie ein "jüdisch-christlicher Raum" sei, "in dem es keinen Platz für Muslime gibt". Ein solches "Wir gegen Sie" führe letztlich "zur Selbstzerstörung". Umgekehrt könnte die Türkei als säkulärer und demokratischer Staat die Brücke zur islamisch-arabischen Welt bilden. Gerade jetzt sei es wichtig, dass der Westen "insbesondere der islamischen und arabischen Welt gegenüber die Hände ausstrecke", betonte der Friedensnobelpreisträger, der kommende Woche beim 8. Wiener Kongress "com.sult" mit internationalen Spitzenpolitikern, Managern und Experten über die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts diskutiert. (APA)