Bild nicht mehr verfügbar.

Steigen die Preise, steigt die Wut: Hohe Lebensmittelpreise haben die Proteste in Tunesien in den vergangen Wochen mit befeuert. Das Archivbild zeigt eine Hungerdemo in Dakar, Senegal.

Foto: Reuters
Grafik: DER STANDARD

Wien - Aristoteles ist das Verdienst zuteilgeworden, einen der wohl ältesten bekannten Fälle von Lebensmittelspekulation beschrieben zu haben. Er erzählt in seinem Hauptwerk Politik über ein Optionsgeschäft des Philosophen Thales von Milet. Thales' Gespür fürs Wetter ließ ihn eine prächtige Olivenernte vorausahnen, weshalb er sich die Dienste aller Olivenpressen im Land sicherte. Die Ernte fiel tatsächlich gut aus, Thales war reich.

Etwa 2300 Jahre später sind Nahrungsmittelspekulanten immer noch fleißig am Werk. Berühmt geworden ist zuletzt Anthony Ward, der mit seinem Hedgefonds im Sommer 2010 auf einen Schlag rund sieben Prozent der weltweiten Kakaoernte aufkaufte. Aber Ward war nur die Speerspitze einer breiteren Entwicklung.

In den vergangenen Jahren haben Spekulationen mit Weizen, Mais und anderen Grundnahrungsmitteln zugenommen. Besondere Terminkontrakte, bei denen Käufer und Verkäufer im Voraus vereinbaren, Produkte zu einem bestimmten Preis zu kaufen, sind beliebt. Beispiel Weizen: Waren Anfang 2010 laut der Chicagoer Rohstoffbörse 55.000 Terminkontrakte auf Weizen offen, lockten die hohen Preise viele Investoren an. Derzeit laufen 80. 000 Kontrakte auf steigende Weizenpreise.

Wachgerüttelt

Diese Entwicklungen haben vor dem Hintergrund hoher Lebensmittelpreise den US-Kongress und die EU wachgerüttelt. Im Zuge der US-Finanzmarktreform 2010 hat der Kongress die CFTC, die den Handel mit Futures und Optionen auf Rohstoffe reguliert, beauftragt, ein Maßnahmenpaket zu erarbeiten. Vergangene Woche wurde ein erster Vorschlag präsentiert. Die CFTC will die Zahl der spekulativen Positionen, die gehalten werden können, begrenzen. Von der nächsten Sojalieferung soll ein Händler etwa nicht mehr als 25 Prozent kaufen können. Zudem werden erstmals bisher nicht erfasste Geschäfte unter die Aufsicht der CFTC gestellt.

Einen ähnlichen Weg schlägt die EU ein. Binnenmarktkommissar Michel Barnier möchte den Aufsichtsbehörden die Möglichkeit geben, Positionslimits auf Futures-Kontrakte einzuführen. Dafür bedarf es aber noch eines Schrittes davor: Im Gegensatz zu den USA gibt es in Europa keine verpflichtende Erfassung von Derivatpositionen. Das soll sich ändern. Im Dezember hat Barnier ein Papier vorgelegt, wonach die Derivatpositionen auf Argrarprodukte gemeldet werden müssen.

Trotz der Bemühungen geht die EU laut Uno zu zaghaft vor. "Die EU ist zurückgeblieben. Es ist schade, dass die USA bereits weiter sind und konkrete Limits einführen, während Europa erst noch sein Meldesystem erarbeitet", sagt Olivier de Schutter, Uno-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung, dem Standard. Zwar sind die meisten Agrarfinanzinvestoren wie Goldman Sachs primär in den USA tätig, doch auch in Europa gibt es wichtige Marktplayer wie die Deutsche Bank, sagt Schutter. Und London ist der zweitgrößte Finanzplatz der Welt.

Aber bei allem Lob in Richtung Washington: Die neuen Richtlinien für Spekulanten sollen erst ab April gelten. Bis dahin können die Regelungen noch verwässert werden. Tatsächlich ist bei den US-Aufsehern der CFTC bereits ein Streit darüber entbrannt, welche Rolle Finanzinvestoren spielen. Denn unter Wissenschaftern ist die These, dass Spekulanten den Markt befeuern, umstritten.

Die landwirtschaftliche Fakultät der University of Illinois hat im Oktober 2010 eine aufsehenerregende Studie veröffentlicht, wonach es keinen Zusammenhang zwischen der erhöhten Aktivität von Fonds und der Preisvolatilität gibt. In früheren Untersuchungen hat die UN-Ernährungsorganisation FAO ähnlich argumentiert. Inzwischen sprechen aber FAO und fast alle Hilfsorganisationen davon, dass Investoren Trends zwar nicht setzen, aber einen einmal begonnenen Preisanstieg verstärken können. (Lukas Sustala, András Szigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2011)