STANDARD: In Medien wird häufig darüber diskutiert, wann der Quantencomputer Realität werden könnte: ein Rechner, der eine um ein Vielfaches höhere Leistungsfähigkeit hätte als derzeit gebräuchliche Computer. Können Sie nachvollziehen, warum sich das Interesse auf ein Ergebnis konzentriert, von dem man noch nicht einmal wissen kann, wie es aussieht?
Zoller: Die Öffentlichkeit will natürlich wissen, wann eine neue Technologie kommt, die ein neues Paradigma der Informationsverarbeitung wäre. Wann es aber so weit sein wird, kann man heute mit seriösen Schätzungen nicht sagen. Für mich ist der Weg zum Quantencomputer eigentlich schon spannend genug. Für mich ist der Quantencomputer der Mount Everest, die Physik hat aber schon einen Vorgipfel erklommen, den Quantensimulator.
STANDARD: Sie selbst haben ja dafür 1998 gemeinsam mit Ignacio Cirac das theoretische Fundament geschaffen. Wie funktioniert ein Quantensimulator? Und was macht ihn zu jenem Durchbruch, als den ihn das Fachmagazin "Science" kürzlich bezeichnet hat?
Zoller: Ich bin begeistert, dass sich unsere Idee jetzt in die Praxis, umsetzen lässt, zum Beispiel in großen Projekten in Europa und den USA. Wir schlugen vor, optische Gitter dafür zu verwenden. Die- se werden durch die Überlagerung mehrerer Laserstrahlen gebildet. Mit sehr kalten Atomen können in diesem Gitter neue Zustände von Materie und Phasen simuliert werden, die es in der Natur in natürlicher Form gar nicht gibt – mit ganz merkwürdige Eigenschaften. Man kann insbesondere damit einige grundlegenden Fragen der theoretischen Vielteilchenphysik beantworten. Wissenschafter arbeiteten oft über Jahre an Theorien und Modellen, die man aber in der Praxis nicht testen konnte, weil es kein Material dafür gab. Nun kann man das Material simulieren und im Labor erzeugen, und damit grundlegend neue Einblicke gewinnen.
STANDARD: Welche Fragen sind das?
Zoller: Es gibt eine lange Liste. Etwa die Frage der Hochenergiesupraleiter. Wieso leiten diese keramischen Materialien bei minus 140 Grad so gut? Wir wissen, dass das so ist, aber nicht warum. Mit dem Quantensimulator können Konzepte unse-res Grundverständnisses getestet werden.
STANDARD: Könnte man mit dem Quantensimulator auch Fragen in anderen Wissenschaften, zum Beispiel in der Biologie, klären?
Zoller: In einem gewissen Sinn ist es ja offensichtlich, dass Quantenphysik in der Biologie eine Rolle spielt, etwa in der Fotosynthese der Pflanzen, die ohne Quanten, nichtteilbare Energieportionen, die die Eigenschaften von Wellen und Teilchen vereinen, nicht vorstellbar wäre. Aber es gibt da viel spannendere Fragen: Spielen bei unserem Gehirn, das bei Raumtemperatur in flüssiger Umgebung funktioniert, Quanteneffekte eine fundamentale Rolle? Da hat keiner bisher eine Antwort. Und ob diese Frage mit dem Simulator lösbar wird, wissen wir nicht.
STANDARD: Machen Sie sich angesichts der vielen offenen Fragen auch Gedanken über Fragen, die unlösbar bleiben?
Zoller: Nobelpreisträger Richard Feynman sagte schon vor vielen Jahren: Am Ende des Tages weiß ein Physiker dank Experimenten, wie es geht. Und das stimmt auch: Wenn die Theorie nicht haltbar ist, dann hätte man etwas fundamental Neues entdeckt. Wenn wir den Quantencomputer entwickeln, dann haben wir eine Technologierevolution eingeleitet. Wenn nicht, wenn am Weg dorthin herauskommt, dass beispielsweise Gravitation dazu führt, dass die Gesetze der Quantenphysik in der bekannten Form nicht mehr gelten, was manche behaupten, dann könnte das auch eine bahnbrechende Entdeckung in der Physikgeschichte sein. Es ist so ähnlich wie im Teilchenbeschleuniger am Cern. Entweder finden die Physiker dort das bisher nur theoretisch angenommene HiggsTeilchen, durch das jedes masselose Teilchen Masse erhalten kann, oder sie beweisen mit ihren Forschungen, dass es das doch nicht gibt – was auch eine Sensation wäre. Für philosophische Gedanken, wie sie sich viele Quantenphysiker im Alter machten, bin ich vielleicht auch noch zu jung.
STANDARD: Fühlen Sie sich für den Nobelpreis auch zu jung? Seit 2009 werden Sie von der Agentur Thomson Reuters als Kandidat gehandelt, in Österreich werden Sie alle Jahre wieder genannt, weil das Land seit Konrad Lorenz und Karl von Fritsch 1973 keinen Nobelpreisträger feiern durfte.
Zoller: Mich nervt, dass man Preise für das hierzulande mangelhafte Selbstvertrauen braucht. Das hat eine Bedeutung wie der Gewinn der Vierschanzentournee. Die wirklichen Probleme werden durch einen Nobelpreis sicher nicht gelöst. Einmal abgesehen davon, dass es in meinem Umfeld Wissenschafter gibt, die diesen Preis viel eher verdient hätten und ihn sicher auch bekommen.
STANDARD: Welche Probleme meinen Sie?
Zoller: Das Problem eines falschen Nachwuchsfördersystems. Hierzulande wird man mehr oder weni-ger zufällig, wenn man den Professor auf dem Gang trifft, Universitätsassistent und kann diesen Job ewig behalten – dabei fehlen aber auch Aufstiegschancen. In den USA sucht man die besten Wissenschafter für diesen Posten. Nach fünf Jahren wird evaluiert, dann geht es weiter nach oben – ohne Grenzen – da kann man auch leichter Professor werden, oder man fällt wieder raus aus dem System, wenn man nicht so erfolgreich war, das heißt keine interessanten Arbeiten in den jeweiligen Journals publiziert hat. Das ist Darwinismus.
STANDARD: Sie waren aber doch auch einmal Assistent.
Zoller: Ja, das war für mich eine goldene Zeit. Ich konnte in meiner Bedeutungslosigkeit reisen, forschen und Leute kennenlernen und musste nicht wie andere, die sich profilieren wollten, in Kommissionen sitzen. Dann kam aus den USA ein Angebot von Harvard, ich hätte ein Forschungsinstitut leiten sollen. Ich bin letztlich nach Boulder in Colorado ans JILA gegangen, weil ich die Leute dort schon so gut kannte und wir zusammenarbeiteten. Das war ein Augenöffner für mich. Ich lernte erst, wie Forschung funktioniert. Deutlich wettbewerbsorientierter als hier.
STANDARD: Was wäre die Lösung, um Österreichs Grundlagenforschung besser zu positionieren?
Zoller: Der Wissenschaftsfonds FWF bräuchte mehr Geld, um es im Wettbewerb vergeben zu können und Stellen für junge Wissenschafter zu schaffen, die sich dort auch behaupten müssen. Und die Unis bräuchten nicht so viel fixes Geld. Ich wüsste auch, wo man sparen kann. Es muss nicht jeder Professor ein Imperium mit zahllosen Forschern im Team haben. Da genügen kleine Teams, die international viel besser reüssieren können als große. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.01.2011)
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Wissen: Neuer Supercomputer
Gängige Computer rechnen auf Grundlagen des binären Systems von Nullen und Einsen, die man Bits nennt. Quantencomputer, die eine wesentlich höhere Rechnerleistung haben, machen das mit Qubits – mit Werten zwischen null und eins. Die neuartigen Superrechner bestehen vorerst in der Theorie. Quantencomputer mit wenigen Qubits und daher relativ kleiner Rechenleistung können freilich bereits gebaut werden: 2001 gelang es Forschern am IBM Almaden Research Center ein System mit sieben Qubits zu bauen. Rainer Blatt vom Institut für Experimentalphysik der Uni Innsbruck, wie Peter Zoller wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gelang 2005 der nächste Rekord mit acht Qubits.
Blatt verwendet bei seinen Experimenten Ionen in Ionenfallen. Quantencomputer können aber auch in anderen Systemen realisiert werden.
Zur Erzeugung der Qubits werden zwei langlebige Zustände der Ionen, dieser elektrisch geladenen Teilchen, genutzt. Je mehr Ionen in einer Falle kontrolliert werden können, desto mehr Qubits lassen sich bilden. Zum Rechnen werden die Qubits schließlich mit Lasern verschränkt. (pi)