"Amerika hatte eine lange, gemütliche Fahrt - und jetzt sind wir sauer, weil es vorbei ist" - US-Autor und Regisseur Paul Schrader sieht sein Land am Scheideweg angekommen.

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Über die Lage von Nation und Kino sprach er mit Dominik Kamalzadeh.

STANDARD: "Der Cleopatra Club" erzählt von einem Filmregisseur und einem Kritiker, die sich nach längerer Zeit auf dem Filmfestival von Kairo wiedersehen. Sie haben das Stück 1995 geschrieben. Gab es einen bestimmten Auslöser?

Schrader: Ich war selbst als Jurymitglied auf dem Festival in Ägypten und wurde dort bestohlen. Ein Resultat davon war, dass ich von der Tourismus-Polizei befragt wurde, die wiederum Teil der Sicherheitspolizei ist. Man dachte, ich oder mein Übersetzer seien selbst für den Vorfall verantwortlich. Als man dann den wahren Dieb fand, fühlte sich der Polizist schuldig und lud mich zu sich nach Hause ein. Auf diese Weise lernte ich eine Menge über den ägyptischen Sicherheitsapparat.

STANDARD: Er ist auch eine Figur in dem Stück und verkörpert eine andere Sichtweise als die ein wenig naiven Amerikaner.

Schrader: Ja - und der Polizeibeamte erzählte mir damals von muslimischen Bruderschaften, von Al-Kaida, die es damals noch nicht lange gab. Als das Stück aufgeführt wurde, ging man auf diese Dinge gar nicht ein. Das Spannende an dem Stück ist ja, dass es vor 9/11 entstanden ist.

STANDARD: Wie sind Sie überhaupt auf die Paarung Regisseur/Kritiker gekommen?

Schrader: Ich habe das gemacht, was Schriftsteller immer tun: Ich habe mich zweigeteilt und mit mir selbst ein Gespräch geführt. Beide Figuren verkörpern Teile von mir.

STANDARD: In Ihren Drehbüchern und Filmen gibt es oft Charaktere, die Produkte ihrer Zeit sind, wie Travis Bickle in "Taxi Driver". Wie sehen Sie in diesem Licht das Attentat von Arizona?

Schrader: Amerikanische Attentäter sind auf ihre Weise einzigartig. Das liegt an der Beschaffenheit des Landes. Wir sind ein relativ junges Land, wir hatten nie fremde Truppen auf unserem Boden, wir haben keine nationalen Katastrophen erfahren müssen. Es gibt diese jugendliche Arroganz, diese Selbstüberschätzung, die sich im Psychopathen so weit steigert, dass er sich berufen fühlt, jemandem für alles die Schuld geben zu müssen.

STANDARD: Die Agenda der Tea-Party erscheint in solchen Zusammenhängen auch nicht sehr neu. Warum ist sie populär?

Schrader: Die Tea-Party nährt sich vom Eindruck einer Depression. Sie forciert die Idee, "unser" Jahrhundert sei vorbei. Amerika hatte eine lange, gemütliche Fahrt. Europa hat sich zwei Mal zerstört. Wir hatten Rohmaterial, diese Energie, all diesen Raum. Dann wurden wir faul, machten keine Produkte mehr, die jeder kaufen wollte, und borgten uns fremdes Geld, um für alles zu bezahlen. Dann erwischte man uns dabei. Und jetzt sind wir sauer. Da muss doch jemand daran schuld sein: Die Regierung, wer denn sonst! Und die anderen Sündenböcke sind Immigranten, also jene, die die meiste Arbeit machen.

STANDARD: Warum gelingt es nicht, diese Gräben zu schließen? Obama stand doch für einen Neuanfang.

Schrader: Es war ein Irrtum zu glauben, dass Obama zu einem neuen Miteinander der Rassen führen wird. Es ging in die andere Richtung: Obama hat den Rassismus noch vergrößert. Der Umstand, dass ein Schwarzer das Land führt, hat diese versteckten Widerwärtigkeiten noch stärker hervorgebracht. Man geht so weit zu sagen, er sei in diesem Land nicht geboren worden. In Wahrheit sind sie doch nur wütend darüber, dass er schwarz ist!

STANDARD: Für das Kino haben Sie auch keine guten Prognosen: Sie haben es als eine Kunstform des 20. Jahrhunderts bezeichnet, die an ihr Ende kommt. Haben Sie keine großen Hoffnungen in die digitale Ära?

Schrader: Es kommt darauf, wovon man spricht. Wenn man Filme als Projektion von Bildern in einem dunklen Raum versteht, dann denke ich, dass es diese Idee nicht mehr lange geben wird. Das ändert sich gerade - ich bin nicht froh darüber, man kann es aber nicht wegleugnen.

STANDARD: Welchen Weg wird Film unter diesen neuen technischen Bedingungen einschlagen?

Schrader: In den USA gibt es momentan nicht viel zu sehen. Das System der Independent-Filme ist zusammengebrochen - die Anzahl der Produktionen ist in den letzten Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. Diese Lücke füllt nun ein neues, nicht-kommerzielles Kino auf, Filme, die nicht mehr als 25.000 Dollar kosten und die sich nicht um Marktgesetze kümmern. Das einzige Paradigma, das das Filmemachen bestimmte, war das kapitalistische, und das spielt nun keine Rolle mehr. Nun geht es eher um persönlichen Ausdruck.

STANDARD: Weshalb reagiert Hollywood darauf nicht?

Schrader: Man ist auf die alten Medien fixiert, weil nur diese Geld bringen. Der DVD-Markt hilft da auch wenig - das ist ein "dead man walking". Wie man im Internet mit Filmen Geld machen kann, das hat bisher noch niemand herausgefunden. Jeder probiert's, aber es könnte so enden wie im Musikgeschäft, wo der Wechsel ins Digitale mit 60-prozentigen Einnahmen-einbußen vonstatten ging. Die Musik hat das überlebt, weil sie nicht so viel kostet. Aber was passiert mit Filmen, die 150 Millionen Dollar kosten?

STANDARD: Wie betrachten Sie die Tendenz, dass es immer mehr Qualitätsserien im Fernsehen gibt?

Schrader: Das ist der Ort, an den sich Film als Drama zurückgezogen hat. Die Studios machen das nicht mehr, Universal hat das sogar offiziell verlautbart. Wenn man seriöse Geschichten mit starken Figuren schreiben will, dann wird man im Fernsehen landen.

STANDARD: Hätten Sie darauf Lust?

Schrader: Ich hätte nichts dagegen. Doch das Problem am Fernsehen ist, wenn man damit anfängt, ist es mit allem anderen vorbei. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 20. Jänner 2011)