Kanzler Dollfuß 1933 bei einer Ansprache vor der Vaterländischen Front: Die Opfer des Regimes sind bis heute nicht rehabilitiert.

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Wien - Das Konzept für die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus liegt seit Monaten bei Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) und Vizepräsident Fritz Neugebauer (ÖVP). Geschehen ist nichts.

Oliver Rathkolb, Vorstand des Zeitgeschichte-Instituts an der Uni Wien, hat trotzdem die Hoffnung nicht verloren. Dabei ist das Zuwarten unerklärlich, denn selbst für den Historiker ist es "legistisch gesehen ein einfaches Projekt". Rathkolb: "Geben Sie mir einen versierten Verfassungsjuristen, und in einer Woche liegt ein entsprechender Gesetzesentwurf auf dem Tisch." Mit wissenschaftlichen Tagungen will man nun gemeinsam mit Experten der rechtswissenschaftlichen Fakultät an die Agenda erinnern.

Anders als erwartet sieht das gemeinsam mit dem Historiker Helmut Wohnout entwickelte Konzept Einzelfallprüfungen - um die Rehabilitierung von Nationalsozialisten auszuschließen - nur in verhältnismäßig wenigen Fällen vor, denn: "Wir können nachweisen, dass eine relativ große Opfergruppe der rund 10.000 in unterschiedlicher Art und Weise von Polizei und Justiz politisch Verfolgten rasch rehabilitiert werden kann. Da gibt es genug empirisches Material."

An der Wissenschaft liege es nicht, Ende des Jahres sollte spätestens ein Gesetz verabschiedet werden, findet Rathkolb: "Die Republik hat die Bringschuld. Immerhin feiert sie gerade intensiv einen ehemaligen Hochverräter, Bruno Kreisky, dessen Verurteilung nie formal getilgt wurde."

Kein Haus der Geschichte

In einer anderen Frage sieht der Forscher hingegen schwarz. Ob er noch an das seit mehr als zehn Jahren diskutierte "Haus der Geschichte" glaubt? "Ehrlich gesagt habe ich davon zu träumen aufgehört", sagt er. Während für das europäische Pendant bereits die Direktorin, die Slowenin Taja Vovk van Gaal, bestellt und das wissenschaftliche Personal fix sei sowie ein Gebäude in Brüssel bereitstünde, "bewegt sich in Österreich die Politik nicht einmal einen Millimeter". Es fehle an Engagement und Interesse bei Kanzler wie Vizekanzler. Rathkolb würde am liebsten am Morzinplatz in der Wiener Innenstadt eine Art zweites Museumsquartier, bestehend aus dem Haus der Geschichte, einem neuen Jüdischen Museum sowie einem neuem Wien-Museum, verwirklicht sehen. Nur: "Die Politik erkennt nicht den Nutzen für die österreichische Gesellschaft."

Betonte Opferrolle

Dabei gibt es auch im neuen Jahrtausend Aufklärungsbedarf: Zwar sei der Antisemitismus der 1970er-Jahre wie die Hitler-Verherrlichung zurückgegangen, doch würden die alten Stereotype laut Rathkolb in neuem Gewand auftauchen: "Dieselben Instrumente und Vorurteile werden nun in der Migrationsdebatte benutzt." Auffallend sei zwar, dass die Sicht auf Österreichs Mitverantwortung am Holocaust selbstkritischer wurde, gleichzeitig werde die Rolle des Widerstandes überhöht und die Opferrolle des Landes überbetont. Laut einer von Rathkolb gestalteten Sora-Umfrage im Vorjahr sieht mehr als ein Drittel der Bevölkerung Österreich immer noch als Opfer des NS-Regimes. "So wichtig es ist, sich mit den Opfern des Holocaust und des Widerstands auseinanderzusetzen - man muss aufpassen, dass die Täter nicht außen vor bleiben. Täter, Mitläufer und Zuschauer gehören stärker in Erinnerung gerufen."

Beunruhigend sei auch ein anderes Ergebnis der Studie: "Es gibt schon einen Trend in der Bevölkerung in Richtung Schlussstrich." Nur, so Rathkolb: "Geschichte kann man nicht in die Schulen verbannen. Sie ist Teil unseres öffentlichen Diskurses."(Peter Mayr, DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2011)