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"Kartenhaus der Verdächtigungen": Botschafter Szalay-Bobrovniczky.

Foto: AP/dapd/Ronald Zak

Sehr geehrte Frau Föderl-Schmid, als aufmerksamer Zeitungsleser habe ich mit Befremden und immer größerer Enttäuschung Ihre Ungarn-Berichterstattung, darunter auch Ihren letzten Leitartikel vom 15. Jänner gelesen.

Sie bauen Ihr Urteil auf ein einziges Argument, auf die Einführung der Zensur: "Denn um nichts anderes handelt es sich, wenn Journalisten mit hoher Geldstrafe bedroht werden, wenn sie "inhaltlich bedenklich" oder "unausgewogen" berichten."

Es ist kein Zufall, dass der inkriminierte Artikel nie zitiert wird. Der Grund dafür ist einfach: Er kommt in dem Gesetz nicht vor. Das Prinzip der Ausgewogenheit - wie schon im Gesetz von 1996 - gilt nur für die elektronischen Medien, auch da nur für die Nachrichtensendungen, nicht aber für die Presse. Hintergrundprogramme und Kommentare sollen ebenfalls nicht ausgewogen sein. Auch bei den elektronischen Medien kann der Medienrat den Verstoß gegen das Prinzip der Ausgewogenheit nur verurteilen, aber keine Geldstrafe verhängen. Wovor sollten also die Journalisten solche Angst haben? Würde eine eventuelle behördliche Rüge den Fernsehleuten wirklich so große existenzbedrohende Angst einflößen? Im übrigen bedeutet Ausgewogenheit nach dem Gesetz, dass auch die Opposition zu den strittigen Fragen befragt werden muss.

Den Ausdruck "inhaltlich bedenklich" habe ich in den beiden Gesetzen nicht gefunden. Können Sie mir aushelfen, wo er vorkommt? Haben Sie vielleicht den Paragrafen gemeint, der die Hassrede nicht zulässt?

Sie kritisieren zudem, dass die Einhaltung der Gesetze von einer von der Regierung eingerichteten Behörde wahrgenommen wird. Sie stellen die kühne Behauptung auf, dass dies ein klarer Verstoß gegen die Grundrechtecharta sei. Das ist so nicht richtig. Die Tätigkeit der Medien wird auch in anderen Demokratien geregelt.

Das Leitprinzip des Gesetzes ist ein neues Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gemeinwohl. Jeder hat ein Interesse an klaren Spielregeln: die Staatsbürger, die Medienkonsumenten, die Journalisten und die Eigentümer. Das Gesetz verteidigt die Interessen der Medienkonsumenten, besonders den Schutz der Kinder und Jugendlichen. Die neue Aufsicht der Medien steht auf drei Säulen. Der Stiftungsrat (parteipolitisch paritätisch besetzt), das Öffentlich-rechtliche Gremium (Vertreter der Zivilgesellschaft) und der Medienrat nehmen diese Aufgabe gemeinsam wahr. - In Ihrer Zeitung empörten mich nicht nur die Pauschalverdächtigungen ohne Erbringung eines Beweises. Es schmerzte mich auch, was man nicht thematisiert und verschwiegen hatte:

Diese beiden Gesetze folgen nicht nur der Realität des durch die neuen Medientechnologien gewandelten Medienmarktes. Die neue Regelung ersetzt das veraltete Gesetz, das einem berühmten liberalen Moderator nach das schlechteste Gesetz seit dem Systemwechsel war. Die zugelassenen Privatsender (die größten im westlichen Besitz) führten leider nicht zur Verwestlichung, sondern leisteten ihren Beitrag zur "Verwildwesternisierung". Die Selbstregelung scheiterte. Das gestärkte Sanktionssystem beruht auf dem Prinzip der Progression: Bisher hatte die Aufsichtsbehörde wegen der geringen Strafen keinen Biss. Jetzt wurden die Strafen erhöht, aber gegen jeden Entscheid der Medienbehörde kann vor Gericht Einspruch eingelegt werden. Die vielzitierte 730.000 Euro-Strafe kann nur für zwei Privatsender mit der größtem Marktanteil bzw. in Sachen Kartellbildung verhängt werden.

Ein neues Mediengesetz war auch wegen der Unfinanzierbarkeit der öffentlich-rechtlichen Sender dringend notwendig. Das finanzielle Ausgeliefertsein steigerte ihre Abhängigkeit von der Politik und führte zum Verlust ihrer Glaubwürdigkeit und ihres Marktanteils (nur elf Prozent). Das neue Gesetz ist ein Meilenstein. Es stoppt die Verschwendung und Korruption. Das Gesetz ermöglicht gleichzeitig die Erneuerung der öffentlich-rechtlichen Sender (normative, garantierte Finanzierung, die eine echte Chance für die Revitalisierung der wertschöpfenden öffentlich-rechtlichen Sender gibt).

Das Gesetz verbietet keineswegs kritischen Journalismus, von direkter Zensur oder einer Nötigung zur Selbstzensur ganz zu schweigen. Im Gegenteil: Es stärkt die innere Pressefreiheit, indem man den Journalisten mehr Rechte dem Eigentümer und Sponsoren gegenüber gibt.

Der Katalog ließe sich beliebig erweitern. Statt einer sachlichen Darstellung bekamen wir aber eine Vorverurteilung. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine politisch generierte Medienkampagne zwecks Rufschädigung der ungarischen Regierung im Gange ist. Europa geht es aber leider nicht so gut, dass es sich eine solche Ablenkung von den echten Problemen leisten könnte.

Den Vorwürfen der Intellektuellen der abgewirtschafteten MSZP-SZDSZ-Koalition kritiklos folgend, haben Sie uns zu einem Schurkenstaat abgestempelt. Schlagwörter wie Führerstaat und Media Domina machen die Runde. Mit kampagnehafter Regelmäßigkeit erscheinen Artikel ohne Gegenrecherche, die dem Einhämmern der Anschuldigungen dienen. Die Berichterstatter haben aus einer Mischung von Ignoranz und Arroganz ein Kartenhaus der Verdächtigungen aufgebaut, das auf den tönernen Füßen falscher Behauptungen steht. Die Lebenserwartung solcher Konstruktionen hält sich aber in Grenzen. Wir sollten den Tatsachen wieder mehr Respekt zollen.  (DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2011)