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"An einer psychischen Krankheit zu leiden, ist nach wie vor ein großes Tabuthema. Es ist ungemein wichtig, sich als normaler Mensch durch die Welt zu bewegen." (Iris)

Foto: AP/Roberto Pfeil

Sonnensegel nennt sich ein von pro mente Wien initiierter Ausstellungs- und Projektraum für Kunst, Kulturtheorie und Soziales in der Preßgasse 28, 1040 Wien. Eine Auswahl der dort entstandenen Werke der bildenden Künstlerin Jomo.

Bild: Unter dem Maulbeerbaum

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Bild: Eisbär

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Bild: Fiasko

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Bild: Small Guernica

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Iris F.*, 47, und Wolfgang M.*, 45, leiden unter einer Bipolaren Störung - ein Krankheitsbild, das auch als "manisch-depressiv" bezeichnet wird. Beide engagieren sich ehrenamtlich bei pro mente.

Iris ist seit 2006 in Berufsunfähigkeitspension und lebt alleine. Bei ihr überwiegt die depressive Stimmung. Wolfgang arbeitet als geringfügig Beschäftigter in der IT-Branche und lebt in einer Partnerschaft. Bei ihm überwiegen die manischen Phasen.

derStandard.at: Seit wann wissen Sie von Ihrer Erkrankung und wann haben Sie Hilfe gesucht?

Iris F.: Dass mit mir etwas nicht stimmt, habe ich mir schon lange vermutet. Ich hatte immer wieder depressive Phasen. Das ist so weit gegangen, dass ich meinen Job verloren habe und die Beziehung nicht mehr funktioniert hat. Ich bin in einen Teufelskreis gekommen. Als ich 1996 nur noch an Suizid gedacht habe, bin ich zwei Monate lang ins AKH gegangen. Ich wurde auf Medikamente eingestellt und habe danach wieder einen Job gefunden. Aber es ist immer wieder zu solchen Phasen gekommen. 2005 wurde die Diagnose 'manisch-depressiv‘ gestellt.

Wolfgang M.: Ich habe seit 2001 Probleme, die Diagnose ist 2004 erfolgt.

derStandard.at: Wie hat sich die Erkrankung geäußert?

Wolfgang: In meinem Job hatte ich Verantwortung über ein Team. Als ich einen Kollegen kündigen musste, wollte ich dem nächsten Obdachlosen tausend Schilling schenken - als eine Form der Kompensation. Es kam zu einem Schuldwahn, den ich mit Alkohol behandelte, bis alles eskalierte. Ich konnte nicht sagen, 'jetzt muss ich wohin gehen‘, wusste aber, dass etwas nicht stimmt.

Da war eine Party und ich hatte schon zwei Tage nicht geschlafen. Schlafentzug führt ins Psychotische. Ich hatte Wahnvorstellungen, für Selbstmorde verantwortlich zu sein, die gar nicht passiert sind, und Vorstellungen, dass Kollegen gegen mich agieren. Meine Freundin brachte mich in die Psychiatrie. Nach fünf Wochen Krankenstand war ich zurück im Job. Inzwischen war der Umsatzdruck noch höher geworden und ich sah mich vor eine völlig unlösbare Aufgabe gestellt. Nach meiner Kündigung bin ich in ein Loch gefallen. Ich habe nirgends mehr hingehört und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Das hat erneut in eine psychotische Situation geführt. Mit dieser Depression war ich dreieinhalb Monate lang im AKH.

derStandard.at: Ab wann spricht man von einer Krankheit?

Wolfgang: Man muss beobachten: Wann bin ich handlungsunfähig? Ab wann wird es unerträglich? Wenn ich Angst habe, aufgrund der Wirtschaftssituation meinen Job zu verlieren, ist das normal, aber wenn ich aus dieser Angst heraus nicht mehr arbeiten kann, ist das krankhaft. Die Medikamente setzen die Schwelle für die Belastungsgrenze hinauf beziehungsweise federn sie die Dünnhäutigkeit ab. In schlechten Phasen konnte ich mir nicht einmal Tierfilme ansehen, weil ich sie als zu brutal empfunden habe.

Iris: Das kenne ich auch: Man kann sich nichts mehr anschauen, weil einem alles zu nahe geht. Das frisst einen auf.

Wolfgang: Auch das Zeitung lesen ist eine Belastung. Die Tatsache, dass nur bad news good news sind, trifft viele Leute. Sie können nicht locker darüber hinweglesen.

Iris: Das hat eine zerstörerische Wucht, die mich überflutet. Ich bekomme durch die Medikamente einen Filter und kann alles ein wenig distanzierter sehen.

derStandard.at: Nehmen Sie ständig Medikamente? Bleibt dadurch der Zustand stabil, oder treten trotzdem Schwankungen auf?

Iris: Ich bin mit der konstanten Einnahme niedrig dosierter Neuroleptika stabil. Aber alle paar Jahre denke ich, es geht ohne Medikamente. Das ist eine Art Selbsttest. Im Sommer am Land sind sie mir ausgegangen und es war kein Arzt greifbar. Ich dachte, mir wird schon nichts passieren, aber ich wurde depressiv und ängstlich. Es war nicht zum Aushalten. Ich habe dankbar meine Medikamente wieder genommen.

Wolfgang: Bei mir gibt es Stimmungsschwankungen während der Medikation, aber die hat vielleicht jeder Mensch. Wenn die Erkrankung etwas heftiger ist, kommt man sich im Vergleich zu früher gebremst vor.

Iris: Mir tut das Gebremst-sein gut, da ich ja sonst ein hyperaktiver Mensch bin.

derStandard.at: Leiden Sie unter dem Verlust des Hochgefühls?

Iris: Die Medikamente greifen auch auf die Kreativität ein. Das Versinken in sich selbst ist für mich nicht mehr so gut möglich. Aber das Entschleunigt-sein hat auch etwas Positives. Ich versuche mir das bewusst zu machen.

Wolfgang: Maniker sind süchtig nach dem Hochgefühl. Deshalb setzen viele, sobald dieses nicht mehr da ist, ihre Medikamente ab und wenden sich dem Alkohol zu. Ich tendiere immer mehr zur Mitte - im Gegensatz zu früher, wo ich alles getan habe, was mir einen Kick gebracht hat. Von Extremsport und anderen extremen Erlebnissen nehme ich jetzt Abstand, weil es einfach gefährlich ist.

derStandard.at: Inwieweit ist Ihr Umfeld über Ihre Erkrankung informiert?

Iris: An einer psychischen Krankheit zu leiden, ist nach wie vor ein großes Tabuthema. Es ist ungemein wichtig, sich als normaler Mensch durch die Welt zu bewegen. Es gibt Fragen, die mich persönlich sehr treffen. Eine davon ist: 'Und was machst du?' Vor ihr habe ich Panik. Wie erklärt man, dass man keinen Job hat, sondern in Invaliditätspension ist? Man wird über das definiert, was man macht.

Wolfgang: Ein Bekannter von mir redet ganz offen darüber und ich denke dabei immer an den Ausspruch: 'Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert'. Man outet sich eher in der Manie. Da ist man fast stolz darauf, anders zu sein. Wenn man umkippt in die Depression, will man das verheimlichen. Man schämt sich dafür, dass man dieses Leid zu ertragen hat.

derStandard.at: Sind psychische Leiden anhand der zunehmenden medialen Berichterstattung nicht bereits 'gesellschaftsfähig'?

Iris: Es wird hauptsächlich über Depression und Burn Out berichtet, alles andere ist 'nichts‘.

Wolfgang: Es wird in den Medien schon mehr über psychische Erkrankungen berichtet und diverse Online-Plattformen bieten eine gute Möglichkeit zum Austausch. Aber jeder hat Angst davor, verrückt zu werden. Sie verstärkt sich, wenn man jemanden kennen lernt, dem man die Krankheit nicht anmerkt: 'Das kann mich auch treffen‘. Daraus erfolgt eine Abwehrreaktion.

derStandard.at: Wird sich das jemals ändern?

Wolfgang: Ich denke, dass sich das nie ändern wird, weil sich im Rahmen einer psychischen Erkrankung das Verhalten ändert. Dann heißt es gleich: Der ist deppert oder gestört.

Iris: Auch meine Eltern haben meine Erkrankung nicht akzeptiert. Man will kein krankes Kind haben. Es wurde bei mir so gehandhabt, als ob das gespielt oder eingebildet wäre.

derStandard.at: Wie kann man die eigenen Eltern überzeugen?

Wolfgang: Wenn das Problem erstmals auftritt, versucht man ein Erklärungsmodell zu finden, indem man vieles in der Kindheit sucht. Da kommen Vorwürfe an die Eltern, die diese verdrängen oder abschmettern müssen. Man kann Literatur einkaufen und ihnen überreichen, aber wer liest sich das durch? Das Wissen über psychische Erkrankungen wird nie zur Allgemeinbildung gehören. Und auch Menschen, die sich auskennen, sind überfordert, sobald ihr eigenes Umfeld betroffen ist.

Iris: In der Selbsthilfegruppe hat es einmal den Versuch gegeben, Angehörige einzuladen. Das ist nicht zustande gekommen. Auch meine Eltern wären nicht vom Land in die Stadt gefahren um sich dem zu stellen.

derStandard.at: Bemerken Sie es selbst, wenn Sie in einer Manie sind?

Wolfgang: Als ich nach einer schweren Depression in die Manie kam, habe ich mich wieder wohl gefühlt und als gesund bezeichnet. Es liegt in unserer Gesellschaft, dass man enthusiastisch und dynamisch ist. Die Depression gilt als das Krankhafte. Die Phasen, in denen ich mir sicher war, waren die weniger günstigen. Heute lebe ich in ständiger Selbstbeobachtung, meine Erkrankung ist immer präsent.

Iris: Es ist die Depression, mit der man kämpft, während der andere Zustand der bessere ist. Ich bemerke es selbst, wenn ich in einer Manie bin. Ich bin aber auch nicht so überdrüber. Ich habe sehr viel Energie, stehe voll im Leben und möchte immer mehr tun - so dass die anderen nicht mehr mitkommen Das ist dann die Bremse.

Wolfgang: Wenn man medikamentös eingestellt ist, schwanken die Zustände nicht mehr so stark. Da bekommt man schon mit, wenn man schneller und vielleicht ein wenig distanzloser wird und weniger Hemmungen hat. In der Selbsthilfegruppe erlebe ich bei anderen Manikern unrealistische Vorstellungen, Geschäftsideen - 'Ideenflucht‘, wie man im Fachjargon sagt. Wenn man versucht, ein bisschen einzuwirken, wird das meistens abgeschmettert. Die Einsichtigkeit in der Manie ist gering.

derStandard.at: Wie strukturieren Sie Ihren Tag?

Wolfgang: Ich habe mit meinem geringfügigen Job mehr Tagesfreizeit als andere Menschen und kenne einige, die in derselben Situation sind. Man sieht es den Betroffenen nicht an. Ein 40- oder 60-Stunden-Job ist für Bipolare gefährlich, da sie den Stresslevel runter schrauben müssen. Man wird dazu verdammt, nur Dinge zu tun, die einen nicht überlasten. Das erscheint anderen möglicherweise als faul.

Iris: Mit der Berufsunfähigkeitspension darf man nur zu 50 Prozent erwerbstätig sein. Ich hätte gerne einen geringfügigen Job, möglichst im kaufmännischen Bereich, aber es ist sehr schwer, etwas zu finden. Je länger dieser Zustand andauert, umso unsicherer und ängstlicher werde ich.

Wolfgang: Meine ehrenamtliche Tätigkeit in einer Selbsthilfegruppe ist befriedigend, aber eine Entlohnung zu bekommen, ist mehr wert, als reine Wertschätzung oder ein therapeutisches Taschengeld. Außerdem nimmt man unter Umständen Profis die Arbeit weg.

derStandard.at: Gehen Sie auch in Therapie?

Wolfgang: Ich mache Verhaltenstherapie.

Iris: Nach einer Verhaltenstherapie mache ich katathymes imaginäres Bilderleben. Aufgrund meiner Berufsunfähigkeitspension hat sich allerdings der Anspruch auf Therapie auf Krankenschein reduziert. Jetzt versuche ich mich mit den zehn Stunden, die ich jährlich bekomme, aufrecht zu erhalten.

derStandard.at: Wie kann es sein, dass bei jemandem, der aufgrund einer psychischen Erkrankung in Berufsunfähigkeitspension ist, die Therapie auf Krankenschein reduziert wird?

Iris: Der Gedankengang scheint folgender zu sein: Die ist eh schon in Pension und braucht keine Therapie mehr.

Wolfgang: Ich glaube, da steht ein Heilungsanspruch dahinter: Ich bekomme eine Therapie über 20 Stunden für ein bestimmtes Symptom und dann ist das abgeschlossen. Aber ein psychisch Kranker braucht Begleitung, damit er die Dinge bewältigen kann. (Eva Tinsobin/derStandard.at/20.01.2011)

*Namen von der Redaktion geändert