Regelmäßig Körper und Seele baumeln lassen dient als Burnout-Prophylaxe.

Foto: Photodisc

Wilfried Reiter und Claudia Freund leiten "Freund & Reiter Leadership Entwicklung" und veranstalten Seminare zum Thema "Auszeit".

Foto: Freund&Reiter

Auszeiten sollten ins tägliche Leben integriert werden, schlagen Claudia Freund und Wilfried Reiter von der Agentur "Leadership Entwicklung" vor: "Wie das Zähneputzen". Wie sie sich die Strategie zum Kraft tanken vorstellen, erläutern sie im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Gute Vorsätze fürs neue Jahr werden schnell über Bord geworfen. Können Auszeiten die oft gewünschte "Entschleunigung" bringen?

Reiter: Bei vielen Klienten läuft das nach dem gleichen Schema ab: Man nimmt sich was vor. Dann kommt eine Sache, die dringend ansteht und somit ist der gute Vorsatz schon wieder vom Tisch. Man fällt leider sehr schnell ins alte Muster hinein und alles ist wieder obsolet. Wenn man jetzt bewusst sagt, und dazu dienen auch die Veranstaltungen, jetzt gehe ich es an, dann stehen die Chancen ganz gut, dass es nicht nur bei dem Vorsatz bleibt.

derStandard.at: Was verstehen Sie unter Auszeit? Welchen Zeitraum?

Freund: Bei unseren Seminaren sind es zum Beispiel drei Tage, an denen die Leute die Chance haben, auf sich und ihr Leben zu schauen, aus dem Alltag auszusteigen. Hier bekommen sie reflektiert, welche Talente und Ressourcen sie haben. Die Idee dahinter ist, dass das nicht nur alle paar Wochen auf einem Seminar stattfinden soll, sondern Teil der Lebensgestaltung wird. Das Leben beginnt ja nicht erst nach der Arbeit oder im Urlaub. Das Ziel ist, die Arbeitszeit qualitativer zu gestalten und da brauche ich immer wieder das Aussteigen – und sei es am Tag einmal zehn Minuten. Die können ganz viel bewirken.

derStandard.at: Inwiefern?

Freund: Wenn ich mir zum Beispiel in der Früh zehn Minuten Zeit nehme, mich zurückzuziehen, dann verändert das den ganzen Tag zum Positiven. Es geht um das Bewusstsein, dass man sich eine Auszeit nicht nur dann nimmt, wenn man schon kurz vor dem Zusammenbruch steht, sondern es als selbstverständliche Tätigkeit in seinem Leben verankert. Wie etwa das Zähneputzen.

derStandard.at: In welcher Form kann man Auszeiten gestalten?

Reiter: Ich befürworte hier eine gewisse Methodik und Systematik. Urlaub ist zum Beispiel eine Art von Auszeit, die akzeptierteste Form. Die wenigsten Menschen machen sich Gedanken, wie sie – eingebettet in das Arbeitsleben – bewusst mit der Zeit umgehen. Eine Auszeit muss als solche wahrgenommen werden. Es bedarf einer Vor- und Nachbereitung. Zum Beispiel können drei Tage Auszeit wirkungsvoller sein als drei Wochen Urlaub. Wenn ich diese Zeit ganz bewusst zum Regenerieren nutze.

derStandard.at: Wie macht man sich im Kopf frei vom Arbeitsalltag?

Reiter: Zum Beispiel mit dem Umgang, wie ich kontaktiert werden möchte. Indem man beispielsweise das Mobiltelefon zuhause lässt, oder es nur einmal pro Tag aktiviert. Sonst bin ich innerhalb dieser Zeit nicht frei. Vorbereiten heißt, etwa einen Stellvertreter mit den Aufgaben zu betrauen. Das ist eine Form, mich zu schützen.

derStandard.at: Das heißt, die Umgebung muss entsprechend instruiert werden?

Reiter: Genau. Das Unternehmen oder die Kooperationspartner müssen innerhalb der Vorbereitungszeit auf die Auszeit eingebettet werden, damit man dann den persönlichen Freiraum zur Verfügung hat. Ohne eine gute Vorbereitung müsste ich mich permanent damit beschäftigen, wie es hinterher sein wird.

derStandard.at: In Firmen werden längere Auszeiten ja nicht unbedingt goutiert, weil es Umstrukturierungsmaßnahmen oder neues Personal braucht. Ist die gesellschaftliche Akzeptanz in dem Bereich noch zu gering?

Freund: Das ist natürlich unbequem, weil die Firma den Ausfall kompensieren muss und nicht sicher sein kann, dass der Mitarbeiter auch wieder zurückkommt. Ein Sabbatical verändert einen Menschen ja. Deswegen stößt es auch nicht auf viel Gegenliebe. Auf der anderen Seite ist es aber oft notwendig, weil die Zeichen davor nicht erkannt wurden. Ideal ist es, wenn man das in kürzeren Abständen macht. Zum Beispiel jeden Tag in der Früh eine halbe Stunde Auszeit. Diese Zeit gestalte ich ganz bewusst so, dass ich abschalten kann und frisch inspiriert wieder in den Alltag einsteigen kann.

derStandard.at: Soll man Auszeiten in den Büroalltag integrieren?

Freund: Das werde die Arbeitgeber nicht unbedingt goutieren, ist aber eine Frage des Selbstmanagements. Als Selbstständiger kann man sich das natürlich anders einteilen als jemand, der fixe Arbeitszeiten hat. Da ist die Herausforderung, es vor der Arbeit zu machen oder innerhalb einer strukturierten Pause. Das ist eine Frage der Vereinbarung. Deswegen ist es auch wichtig, die Menschen in seinem Umfeld einzubeziehen. Das Bewusstsein dafür, wie wichtig Auszeiten sind, ist aber noch viel zu gering. "Ein bisschen geht immer noch", ist oft die Devise. Wenn es einmal kippt, dann braucht man länger, um wieder Fuß zu fassen.

Reiter: Wichtig wäre es, in Unternehmen die Toleranz für Auszeiten als Form des Regenerierens zu implementieren. Etwa, um zugespitzte Situationen bei Mitarbeitern frühzeitig abzufedern. Wenn jemand so Unterstützung erfährt, ist das sowohl eine Stärkung für die Arbeitskraft als auch für das Unternehmen selbst. Es ist in Ordnung, Höchstleistungen zu fordern, allerdings nicht, jemanden damit zu überfordern.

derStandard.at: Es sollte auch Aufgabe des Managements sein, die Notbremse für die Mitarbeiter zu ziehen?

Freund: Ja, denn daran zeigt sich die Qualität einer Führungskraft. Das ist auch eine Frage der Wertschätzung für die Mitarbeiter, wenn man die Signale richtig deutet. Sehe ich, dass mein Mitarbeiter am Limit ist und Unterstützung braucht oder sage ich einfach, wenn der ausgebrannt ist, nehme ich mir halt eine neue Arbeitskraft. Eine Auszeit soll auch der Reflexion dienen, um zu erkennen, in welchen Mustern man gefangen ist und sich von jenen, die nicht förderlich sind zu lösen. Im tagtäglichen Tun erkenne ich sie nicht und kann sie auch nicht verändern.

derStandard.at: Geht es bei der täglichen Auszeit um meditative Techniken oder Entspannungsübungen?

Freund: Die Menschen sind sehr unterschiedlich und jeder muss das Richtige für sich finden. Manche entspannen, indem sie in der Früh laufen gehen. Andere wiederum greifen auf Meditation zurück. Wir versuchen den Leuten Anleitungen für die Möglichkeiten einer Auszeit zu präsentieren. Mit strukturierten Übungen, die aus dem Tagesgeschäft herausführen. Gut ist, wenn man mehrere Möglichkeiten im Repertoire hat und einfach entscheidet, ob man sich die Auszeit jetzt bei einem Spaziergang, im Büro oder wo auch immer nimmt.

derStandard.at: Auf was sollte man bei einem Sabbatical achten?

Reiter: Die größte Schwierigkeit ist, dass der Einstieg und Ausstieg ins Sabbatical gut funktioniert. Innerhalb eines Jahres verändert sich in Unternehmen so viel, dass der Wiedereinstieg eine große Herausforderung bedeutet. Leichter fällt es natürlich, wenn man projektspezifisch arbeitet.

Freund: Eine längere Auszeit ist eine Frage der Eigenverantwortung. Ich entscheide, aus gesundheitlichen, privaten oder emotionalen Gründen, mir eine Auszeit über einen längeren Zeitraum zu nehmen. Das Ziel muss sein, es möglichst gut zu gestalten und das entsprechend mit dem Umfeld zu koordinieren. Bei einer guten Organisation sollte dieser Prozess für beide Seiten, also Arbeitgeber- und nehmer, von Vorteil sein.

Reiter: Jeder, der eine längere Auszeit macht, berichtet von einem Meilenstein und kommt verändert wieder retour. Je länger die Phase dauert, desto eher kann man sich seine Autonomie wieder zurückholen, die Hoheit über sich selbst.

derStandard.at: Wann ist es zu spät für einen Kurswechsel?

Reiter: Menschen, die körperlich oder geistig ausgebrannt sind, haben zumeist nicht mehr die Reserven, um einen Richtungswechsel vorzunehmen. Die Idee hinter den dreitätigen Seminaren ist, dass man sich Schritt für Schritt rauszieht, bis man wieder eine solide Basis hat. Wenn man das nur mit einem großen Schritt versucht, geht immer was zu Bruch. Bei einem richtigen Burnout braucht es den großen zeitlichen Abstand, um das System zu regenerieren. Wer in der Phase davor ist, in der der Körper noch Selbstheilungskräfte hat, der kann sich mit kleineren Schritten aus dem drohenden Sumpf ziehen.

derStandard.at: Gibt es bei Ihren Klienten eine altersspezifische Struktur, wer von Burnout betroffen ist?

Freund: Wir erleben, dass die Jüngeren oft sehr viel gestresster sind als ihre älteren Kollegen, die einen gelasseneren Blick auf die Dinge haben. Gerade im Alter von Mitte 30 bis 50 sind die Leute sehr gefordert. Da geht es um den nächsten Karriereschritt, den Umgang mit dem Druck, den sich die Menschen auferlegen. Das Gefühl, es jemanden beweisen zu müssen. (om, derStandard.at, 24.1.2011)