Wen die Nachbarn fangen, weiß man nicht. Armutsflüchtlinge? Arbeitsmigranten? Menschen, die vor Verfolgung fliehen? Und wenn sie wieder kommen (und das tun sie) und brav "Asyl" sagen beim Grenzgendarmen am Grenzposten, dann nimmt man halt, wenn es denn sein muss, einen Antrag entgegen. Aber, nix nix, einreisen geht nicht. Und die Befragung zu den Fluchtgründen? Sie werden verständigt. Ob die Zustelladresse irgendwo in Osteuropa dann noch stimmt, wenn nach Monaten endlich ein Interviewtermin winkt, na ja, wer weiß?
Das Kommando lautet "Asylwerber abwehren" - auch in den jüngsten des Innenministeriums für Änderungen im Asylrecht, wie insbesondere der Liste "sicherer Drittstaaten" abzulesen ist: Man erkläre ein Land für sicher, erwische einen potenziellen Asylwerber auf dessen Territorium und zwinge den Nachbarn so, den Asylsuchenden zu behalten oder - später - zurückzunehmen. Und zwar egal, ob das ein Arbeitsmigrant mit falschen Hoffnungen oder ein Mensch auf der Flucht vor Verfolgung ist.
Das dahinter liegende Abwehr-Denken ist keine österreichische Spezialität, aber im heimischen Innenministerium stark entwickelt. Ethnisch, politisch oder religiös Verfolgte werden daher wie eine heiße Kartoffel von einem Staat zum anderen weitergeschubst. Aus den Augen, aus dem Sinn. Für das - teure - Kartoffelspiel (allein Assistenzeinsatzkosten: 48 Mio. Euro im Jahr) haben sich die EU und Österreich hoch komplizierte und vor allem langwierige Verfahren auferlegt, mit denen sie Zuständigkeiten klären.
Das geht schon heute so weit, dass Asylbehörden die postalischen Usancen in Nachbarländern erheben müssen. Ein mir bekannter Pakistani, der wegen seiner religiösen Überzeugung verfolgt war, wurde in Zuständigkeitsverfahren in Österreich drei Jahre im Kreis geschickt, bis die Behörden sich mit seinem eigentlichen Asylantrag beschäftigten - kein Einzelfall. Schließlich bekam er über vier Jahre nach Ankunft in Österreich endlich Asyl. Und das - am Ende des Hürdenlaufs - in Österreich. Warum dann bitte nicht gleich die Fluchtgründe prüfen?
Dafür könnte sich Österreich mit einigen Nachbarländern am künftigen EU-Außenrand gemeinsame Vorgangsweisen einfallen lassen, die über Grenzkontrolle hinaus- gehen und bestimmte Probleme ein für alle Mal lösen. Als Unterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist Österreich Teil einer Solidargemeinschaft (was die Bevölkerung regelmäßig großherzig beweist - vom Ungarn-Aufstand bis zum Bosnien-Krieg). Es kann nicht der Sinn unseres Asylsystems sein, Asylwerber unseren Nachbarn oder dritten Staaten "anzuhängen", im Gegenteil: EU-Regeln für die Zuständigkeit hin, (kooperations)willige Nachbarländer her - Österreich hat als GFK-Unter-
zeichner auch in Zukunft die Pflicht, sich mit Anträgen zu beschäftigen.
Statt sich am Kartoffelspiel zu ergötzen, könnte man mit Nachbarstaaten bei bestimmten, häufigen Nationalitäten mit geringer Verfolgungswahrscheinlichkeit nach gemeinsamen Kriterien und auf rechtsstaatlicher Basis zu rascheren Entscheidungen kommen; damit würden Arbeitsmigranten mit falschen Vorstellungen rasch Klarheit bekommen darüber, dass sie nicht bleiben können. Und die - derzeit viel zu wenigen - Asylbeamten hätten wieder mehr Zeit für tatsächlich Verfolgte.
Wenn man also die Zusammenarbeit mit den Nachbarn nicht nur polizeilich, sondern ganzheitlicher anginge, könnte man auch die Ressourcen für Unterbringung von Asylwerbern, für Verfahren und Abschiebungen poolen und sich so in Spitzenzeiten gegenseitig unter die Arme greifen. Das würde gleichzeitig Populisten den Boden entziehen, die Untergangsszenarien für das kleine Österreich herbeifantasieren. Diese Fantasien münden regelmäßig in möglichst effiziente Abwehrmechanismen für Asylsuchende, und diese sind ein Konjunkturbelebungsprogramm für den Markt der Schlepper und Menschenhändler.