29.11. 1933: Hampden Park, Glasgow 62 000 Zuschauer. Schottland – Österreich 2:2.
30. 4. 2003: Hampden Park, Glasgow 12 000 Zuschauer. Schottland – Österreich 0:2.

In den zwischen diesen Daten liegenden 70 Jahren Fußballgeschichte ist viel passiert. Damals hatte Österreich ein Wunderteam, die Schotten zumindest einen guten Ruf. Nach dem Unentschieden schrieb eine Glasgower Zeitung: "Wir können den Österreichern nichts mehr beibringen." Die Schüler hatten den Lehrmeister überflügelt. Heute haben beide Länder zwar eine reiche Tradition, aber arme Kicker: Schottland liegt im FIFA-Ranking an 59. Stelle, Österreich ist noch zwei Plätze dahinter 61. Dazwischen findet sich Zimbabwe.

Ein Museum mit Anspruch

Obwohl es den Schotten noch nie so schlecht ging wie eben jetzt: der Samen des Niedergangs wurde schon in jenen fernen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gesät, räsoniert Ged O'Brien. Und er muss es wissen, ist er doch Initiator, Direktor, und überhaupt Hansdampf-in-allen-Gassen des Schottischen Fußballmuseums, das sich seit zwei Jahren mit seinen 1200 Quadratmetern permanenter Ausstellungsfläche im Bauch von Hampdens Haupttribüne breitgemacht hat. Die Pioniere des modernen Spiels hätten sich in selbstverliebter Nabelschau von der Welt abgewandt und die in Mitteleuropa gemachten Fortschritte nicht zur Kenntnis genommen. Dort war eben jenes Kurzpassspiel verfeinert und weiterentwickelt worden, welches die Schotten zuvor in alle Welt exportiert, selbst aber aufgegeben hatten.

Das älteste Matchticket der Welt. Schottland empfing die Engländer 1872 am bis heute kaum veränderten West Of Scotland Cricket Ground im Glasgower Stadteil Partick. Dank überlegener Taktik gewannen die Schotten neun der ersten 13 Spiele gegen England.

O'Brien ist ein Mann mit Mission: Schottland, als dem eigentlichen Mutterland des Fußballs, müsse der ihm zustehende Platz in den Geschichtsbüchern erkämpft werden. Und die gelte es dabei überhaupt gleich neu zu schreiben. Denn 90 Prozent der existierenden Literatur sei schlicht Müll. Dort würden bloß die immer gleichen Mythen wiederholt, die mit der Realität jedoch wenig zu tun hätten. Was fehle sei ordentliches Quellenstudium. Leider mangle es an Zeit, um diese Arbeit wirklich leisten zu können. Ein Zuwachs an Finanzmitteln und Mitarbeitern für das Museum wäre dringend notwendig. Derzeit sei im übrigen gerade eine Analyse aller wichtigen taktischen Systeme in Arbeit. Animiert und mit allem drum und dran, soll das Ergebnis bald auf der Website abrufbar sein. Auch die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Archivs und einer Bibliothek ist bisher noch nicht gelungen.

Kein Zweifel besteht für O'Brien aber darüber, dass in seinem Haus, dem ersten und einzig nennenswerten Fußballmuseum der Welt, die beste Sammlung von überhaupt zu finden sei. Da gibt es etwa den schottischen Cup zu sehen, die älteste erhaltene Trophäe der Fußballgeschichte. Oder den Pokal für den ersten "Meister des Vereinigten Königreichs und der Welt" (gewonnen von der schottischen Dorfmannschaft Renton, die 1888 Westbromwich Albion 4:1 besiegte). Der wunderschöne Glasgow Charity Cup gleich daneben, wurde zufällig in einem lange versperrten Schrank wiederentdeckt.

Foto: robausch

Solchen Glücksfällen verdanke das Museum einen Gutteil seiner Exponate, erzählt der Direktor. Stücke von immenser historischer Relevanz würden sonstwo aufgefunden, oder von Leuten einfach so vorbeigebracht. Die Menschen für den Wert solcher Preziosen zu sensiblisieren, oder sie auch nur zum erzählen zu bringen, von ihrem Leben mit dem Fußball – das sei von großer Wichtigkeit. Vieles könne so vor dem Vergessen bewahrt werden. An einem der Audiopoints kann man etwa den Erzählungen eines Fans vom FC Clyde zuhören, die den Besucher in die Hochzeit des Vereins in den 1950er Jahren eintauchen lassen. Insgesamt sind 1000 Objekte (bei einer insgesamt 10.000 Stücke umfassenden Sammlung) zu sehen.

Queens Park

Viel dreht sich um Queens Park, den 1867 gegründeten und damit vermutlich ältesten Fußballverein der Welt. Seiner dominanten Stellung war es geschuldet, dass in Schottland rasch eine Vereinheitlichung der Spielregeln gelang. Queens Park konnte bestimmen gegen wen es spielte und wie. Einige Briefe und Telegramme in denen Challenge-Matches abgemacht wurden, sind erhalten. 1868 schlug Sekretär Robert Gardener etwa Glasgow Thistle FC eine Partie mit folgenden Eckdaten vor: Teamstärke 20 Mann, die Spielzeit: zwei Stunden. 1872 stellte Queens Park dann im Alleingang das schottische Nationalteam und empfing im ersten Ländermatch der Geschichte England.

4000 Menschen sahen zwei Welten aufeinandertreffen. Die in ihrer dunkelblauen Vereinsdress antretenden Queens-Park-Spieler zeigten als kombinierende Mannschaft jenen Stil, der fortan das moderne Spiel prägen würde. Die Engländer, in einer 1-2-8-Formation antretend, waren elf Individualisten. Sie schlugen die Bälle weit nach vorn und versuchten ihr Glück im Dribbling. Association Rules? Schön und gut, meint 0'Brien. In Wirklichkeit sei jedoch die Verbreitung der modernen Regeln viel wahrscheinlicher von Nord nach Süd erfolgt – und nicht aufgrund eines Beschlusses von ein paar Leuten in London, den außerhalb der Stadt schon keinen mehr interessierte.

Queens Park jedenfalls blieb bis heute was es war – ein Amateurverein. Die "Spiders" konnten die sich abzeichnende Professionalisierung nicht mit ihren Idealen versöhnen: Sie verweigerten zehn Jahre lang den Beitritt zur 1890 gegründeten Liga. Doch als es immer schwieriger wurde Gegner für Matches zu finden, gab man den Widerstand auf. Derzeit spielt der Verein in der vierten Leistungsklasse.

Hampden

Hampden war und ist Queens Parks Heimstätte – und sich im Museum auch selbst ein Thema. Das Stadion liegt im Grätzl Mount Florida im Süden Glasgows. Geheiligter Grund, wie sich der Direktor festzuhalten beeilt. Bevor 1903 der jetzige Standort bezogen wurde, hatte der Verein in der Gegend bereits zwei Spielstätten gleichen Namens errichtet, war aber aus Platzmangel jeweils um ein paar Häuser weitergezogen. Ein Folder, der den Interessierten bei einem Spaziergang auf den Spuren dieses "Historic Trail" anleitet, befindet sich kurz vor der Vollendung. Außerdem werden, ausgenommen an Matchtagen, Touren durch das Nationalstadion organisiert. "Hampden zwei" diente übrigens als Cathkin Park dem Traditionsverein Third Lanark bis zu dessen Ende in den 1960er Jahren als Spielort. Nun ist das Gelände wieder echter Park, Überreste der alten Stehplatzrampen sind jedoch noch gut erhalten.

Hampden war unverzichtbar, als neutraler Ort in einer Stadt, die ansonsten vollständig entlang einer Celtic-Rangers-Verwerfung gespalten ist. Es gilt als ältestes Nationalstadion und war bis in die 1950er Jahre die größte Arena der Welt. (Im Bild: "Hampden drei" im Jahr 1927)

1937 drängten sich 149.415 Menschen beim Ländermatch gegen England im Oval. Offiziell. Mindestens 10.000 weitere waren als Gratisblitzer dabei. Den berühmten "Roar" dieser Massen hört man als Tondokument in einer Installation, die durch die Original-Drehkreuze betreten wird. Fotos mit den dicht an dicht gedrängt stehenden Menschen lassen bloß erahnen, wie es sich damals auf Fußballplätzen anfühlte. Und der Besucher erschauert, und bedauert wohl auch ein bisschen, eine solche Erfahrung für immer verpasst zu haben. Ein weiteres Relikt des alten Hampden (Ende der 1990er Jahre wurde umgebaut) ist eine vollständig erhaltene Umkleidekabine – bei den Spielern besonders beliebt wegen des beheizbaren Fußbodens. Größen wie Denis Law, Jim Baxter, Kenny Dalglish und viele andere haben sich hier entblößt. Zweifellos eines der Glanzstücke der Ausstellung.

Mit Ibrox (Rangers, Fassungsvermögen 1937: 118.000 -> Hier eine aktuelle Ansicht.) und dem Celtic Park (Celtic Glasgow, 92.000 -> Hier eine aktuelle Ansicht.) standen noch zwei weitere Riesenstadien in der Stadt. Und wurden voll. O'Brien geht davon aus, dass in solchen Fällen gut ein Drittel der Leute absolut nichts vom Spiel mitbekam, optisch jedenfalls.

Das Powerhouse

Er betont, dass eine absolut unverzichtbare Leistung eines Fußballmuseums darin bestehe, den Sport in seinem sozialen Kontext zu zeigen. Die ökonomischen, kulturellen oder religiösen Verhältnisse sind untrennbar von dessen Entwicklung. Die Stellung der Region um Glasgow als industrielles Zentrum von globaler Bedeutung ab dem späten 19. Jahrhundert habe jene Gesellschaft geprägt, die sich als idealer Nährboden des modernen Fußballs erwiesen hat. Abertausende Arbeiter mit Geld in der Tasche und freien Samstag Nachmittagen dank einer allmählichen Reduktion der Arbeitszeiten waren Spieler- und Publikumsreservoir; Ein ausgebautes Eisenbahnnetz auf dem Teams und Fans zu erschwinglichen Preisen reisen konnten, die notwendige Infrastruktur, um den Spielbetrieb über die lokale Begrenztheit hin auszudehnen.

Nicht nur im Land selbst schoss eine schier unglaubliche Zahl von Vereinen aus dem Boden – das heute so große Celtic hatte sich etwa in einer Ost-Glasgower (!) Regionalliga einzureihen – schottische Exilanten wußten offenbar ebenfalls nichts Besseres zu tun, als in allen möglichen Weltgegenden gleich nach ihrer Ankunft Mannschaften zu organisieren. Auch diese Pioniertätigkeit der kleinen Nation werde nicht entsprechend gewürdigt, ärgert sich der Direktor: "Alle die da kamen und English sprachen, haben sie für Engländer gehalten. Außerhalb Großbritanniens wusste ja keiner, dass es sowas wie Schotten überhaupt gibt." Wieder so ein Anglozentrismus also. "Darin sind sie gut die Engländer, im Behaupten überall die Ersten und Wichtigsten gewesen zu sein."

Archie schießt

Da wandelt man nun, vorbei an unzähligen Kleinodien – historischen Trikots, Caps, Bällen und vielem mehr – durch die Geschichte. Und sieht sich ganz plötzlich umringt von lebensgroßen Pappkameraden: vielen orangen und einem blauen. Es dauert eine Weile, doch dann ist alles klar: Hier wurde jener Moment konserviert, als Archie Gemmill bei der Weltmeisterschaft 1978 das legendäre Tor zum 3:1 gegen die Niederlande schießt – angeblich das schönste des Turniers. Es sollte letzlich nicht mehr sein, als ein bisschen Ehrenrettung. Denn trotz des Sieges gegen den späteren Vize mussten die Schotten bereits nach der Vorrunde das Feld räumen. Nicht anders, als bei allen ihren bisherigen Endrunden-Teilnahmen.

Archie Gemmill bejubelt sein Tor gegen Happels Holländer in Argentinien. Teamchef Ally McLeod hatte es irgendwie geschafft, sein Team glaubhaft als Titelanwärter zu präsentieren. Eine aberwitzige Euphorie hatte das Land erfasst, umso bitterer das Erwachen, als "Allys Army" nach drei Spielen ausgeschieden war.

Am Ende versucht der Museumsshop den Fan mit Souvenirs. Und auch der Chef ist trotz allem wissenschaftlichen Anspruch wohl zu allererst ein solcher. Wenn auch ein ziemlich unmöglicher. Von irischer Herkunft, hängt er ausgerechnet am FC Southampton, daneben natürlich an der irischen Nationalmannschaft. Und er mag die Schotten. Er trinkt und raucht nicht – und mit dem so Ersparten fliegt Ged O'Brien als Fußballtourist durch Europa. "Ich schau mir einfach gerne Matches an", sagt er. Und Wien? "Ja Wien, sehr schöne Stadt. Ich war nur kurz da, aber es war schon Sommerpause – kein Fußball also. Ich muss noch einmal wiederkommen." (Michael Robausch)