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Auch die "Corner"fahne migrierte von England aus in die Fremde, Fälle von xenophobem Empfang sind nicht bekannt

Foto: EPA/Colombo

Begonnen hat alles eigentlich ganz harmlos: als "spleen" . Und so lange die britischen Gentlemen diesen Spleen hinter den blickdichten Planken ihrer Enklaven pflegten, war auch nichts dagegen zu sagen. Allerdings hatten diese Planken auch Astlöcher, und vor diesen drängten sich pubertierende Buben, die in der bedauerlichen Testosteron-Anschwemmphase diesen Spleen irrigerweise für cool, wenn nicht gar für geil ansahen.

Und so begann der Lederball um den Erdball zu laufen: als Nebenprodukt einer forcierten Globalisierung, welche die Zeitgenossen nicht ganz zu Unrecht den Imperialismus nannten. Das Imperium war das britische. Und überall, wo Briten hinkamen - überall also - hingen die Buben an den Planken, wo sie emsig versuchten, sich einen Reim darauf zu machen. Da verspielt, dort kämpferisch, wieder woanders taktisch raffiniert. So entstanden dann die unterschiedlichsten Spielstile.

An diesem Punkt - an dem der Spleen sich als Virus einer sich abzeichnenden Pandemie erwies - regte sich wahrscheinlich überall auf der Welt auch der Widerstand. Jedenfalls war es in Kontinentaleuropa so, wo viele einen Impfstoff suchten für die "englische Seuche" . In deutschen Landen sprach man voll Abscheu von der "Fußlümmelei" , in Wien mussten die Buben sich Bärte ankleben, um schulischer Bestrafung zu entgehen.

Der Widerstand war zwecklos. Die Überfremdung geschah bis hinein in die Sprache. Der "Corner" wurde ebenso geläufig wie das "Goal" , man sprach von "Backstoß" , "Outeinwurf" und "Centerhalf" . Und "Foul" war keineswegs das, wonach es klang. Ganz im Gegenteil.

Dazu kam dann innerhalb kürzester Zeit das Unvermeidliche, wenn man will: der Familiennachzug. Schon in der frühesten Frühzeit ballesterischer Umtriebe taten sich auch oder vor allem leibhaftige Fremdländer hervor. Diesbezüglich sei nur erinnert an Magnus Douglas Nicholson, der im Jahr 1897 nach Wien kam, bei der Vienna (Vienna!) kickte und schon im Jahr darauf den österreichischen Fußballbund (ÖFB) als "Comité zur Veranstaltung von Fußball-Wettspielen" ins Leben rief. 1914 gründete sich dann sogar ein den Engländer verherrlichender FC Nicholson, der sich 1933 aus Gründen der geografischen Zuordenbarkeit bei internationalen Begegnungen in FC Wien umbenannte.

Den Engländern war in Football-Angelegenheiten das Missionieren fremd. Diesbezüglich hegten sie - zu ihrem eigenen Schaden - die Überzeugung, niemand außer ein Engländer beherrsche dieses Spiel wirklich. Ihre Adepten sahen das nicht so eng. Den Süden des europäischen Kontinents missionierten, was gerne vergessen wird, die Schweizer, die wegen ihrer von Engländern gern besuchten Internate schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts dem Fußball verfallen waren.

Nicht bloß der FC Barcelona war eine Schweizer Gründung, weshalb die Katalanen bis heute in den Farben des FC Basel auftreten. Auch Inter Mailand trägt eine eidgenössische Handschrift, die ausdrücklich - deshalb Internazionale - gegen die Mutter, den italienischtümelnden AC Milan polemisierte.

Man tut heute zuweilen so, als wäre das sogenannte "Legionärs-Unwesen" - das ballesterische Migrieren um buchstäblich jeden Preis - ein hochmodernes, dem neokapitalistischen Niederreißen jeder Regelung geschuldetes Phänomen, das man gerne auch der EU ans Zeug flickt unterm Genrebegriff "Bosman" . Das Gegenteil allerdings ist der Fall. Legionäre gibt es, seit es den Fußball außerhalb von England gibt. Und auf dem Kontinent erst recht.

Was ungarische Legionäre für den Wiener Fußball bedeuteten, ist hinlänglich bekannt: ohne die Brüder Jenõ und Kálmán Konrád-oder Alfred Schaffer - von dem man sagte, er spiele in jeder Währung - hätte es keine "Wiener Schule" gegeben. Wenig später migrierten die Österreicher bis weit nach dem Zweiten Krieg ins aufnahmebereite Frankreich, wo das Lernen von den Fremden seit Beginn an gang war und gäbe auch. Erster französischer Meister wurde 1906 ein Klub aus Marseille: Stade Helvétique. Es geigten: ein Engländer und zehn Schweizer. (DER STANDARD Printausgabe, 22./23.1.2011)