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Sonne und frische Luft für die Patientin: Gabrielle Giffords’ Ehemann Mark Kelly am Krankenbett seiner Frau in Tucson.Foto: Reuters

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Aus ihrer Geschichte wollen viele Amerikaner so etwas wie ein Happy End nach der Bluttat lesen.

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Sie kann wieder Farben erkennen, sie kann vom Bett aufstehen, und ist in der Lage, gestützt von Krankenschwestern, ein paar Schritte zu gehen. Neulich hat sie ihrem Ehemann zehn Minuten den Nacken massiert. Dass sie ihre Finger gezielt tastend über die Scheibe ihres geliebten iPads gleiten lässt, werten ihre Ärzte als deutliches Zeichen der Genesung.

Freitag konnte Gabrielle Giffords das Krankenhaus verlassen, in das sie eingeliefert wurde, nachdem ihr Jared Loughner, ein offenbar verwirrter Einzeltäter, vor einem Supermarkt in Tucson eine Kugel in den Kopf gejagt hatte. Nächste Station ist eine Reha-Klinik im texanischen Houston. Dass das alles nur zwei Wochen nach den Schüssen passiert, hatte anfangs niemand für möglich gehalten.

Um es zu illustrieren, erinnert Giffords' Gatte, der Astronaut Mark Kelly, noch einmal daran, wie die Nachrichtenlage war an jenem 8. Jänner. CNN und Fox, die beiden meistgesehenen Kabelsender, hatten bereits den Tod der Abgeordneten vermeldet. Vier Tage darauf wusste Präsident Barack Obama zu vermelden, dass Giffords ihre Augen öffnen kann. Zwei Wochen später sagt Nancy Pelosi, die Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus: "Ich bin überzeugt, dass Gabby bald wieder auf ihrem Platz im Kongress sitzen wird."

Die wundersame Genesung, im öffentlichen Diskurs ist sie fast so etwas wie eine Metapher. So tief der Schock nach der Tragödie von Tucson gesessen hatte, so sehr sehnt sich Amerika in jeder Tragödie danach, zugleich einen Keim der Hoffnung zu sehen, zumindest ein kleines Happy End.

"Die Patientin macht fantastische Fortschritte" , sagte der Neurochirurg Michael Lemole, bevor er Giffords aus seiner Obhut entließ. "Aber ich möchte zur Vorsicht raten. Sie hat noch einen langen Weg zu gehen." Dass die Politikerin überhaupt schon so weit ist, führen Mediziner auf eine Kette schnellen, professionellen Reagierens zurück. Kaum hatte er die Schüsse gehört, eilte Giffords' Praktikant Daniel Hernandez vom Parkplatz herbei und hielt ihren Körper aufrecht, sodass sie nicht an ihrem eigenen Blut erstickte. Nach wenigen Minuten waren Rettungssanitäter zur Stelle, 38 Minuten später lag die Verletzte auf dem OP-Tisch.

Peter Rhee, der zuständige Chirurg, wusste genau, was er zu tun hatte. 24 Jahre war er Militärarzt gewesen. 2002 in Afghanistan und 2005 im Irak hatte er US-Soldaten mit schweren Kopfverletzungen behandelt: "Ich sage das ungern, aber ich habe auf diesem Gebiet viel experimentiert." Rhee sorgte für eine schnelle Bluttransfusion und entfernte einen Teil der Schädeldecke, um zu vermeiden, dass Schwellungen des Gehirns zu zusätzlichen Schäden führen. Noch wissen die Ärzte nicht, was an Folgen bleibt. Unklar ist etwa, ob die Parlamentarierin je wieder normal sprechen kann. "Es könnte ein Jahr dauern, ehe wir es wissen", warnt Rhee vor überzogenen Erwartungen. "Ob ihr Hirn den erlittenen Schaden kompensiert? Wir werden abwarten müssen." (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 22.1.2011)