Al Jazeera hat die 1600 Dokumente aufgestellt und sie gemeinsam mit dem britischen Guardian untersucht.

Screenshot: derStandard.at

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Die Palästinenser sollen zu Zugeständnissen in und um Jerusalem bereit gewesen sein.

Foto: REUTERS/Baz Ratner

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Blick auf Jerusalem (links) und die jüdische Gilo-Siedlung vom palästinensischen Dorf Walaje, südlich von Jerusalem, aus.

Foto: EPA/JIM HOLLANDER

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Tempelberg.

Foto: REUTERS/Baz Ratner

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Anzahl der Siedler in besetzten Gebieten und Neubauten von 1993-2008; Kurvengrafik, Zeitleiste: wichtigste Ereignisse im Friedensprozess (Stand: September 2009)

Grafik: APA

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Übersichtskarte Westjordanland mit israelischen Siedlungen, Factbox; Entwicklung Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem.

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Außenminister Lieberman: "Eine auf langfristig konzipierte Interims-Lösung die einzige Möglichkeit sei, um den Konlikt beizulegen"

Foto: Petros Giannakouris, Files/AP/dapd

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Ehud Olmert, Premierminister von Mai 2006 bis März 2009.

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Tzipi Livni, von Mai 2006 bis März 2008 Außenministerin.

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Die neuen Nahost-Enthüllungen setzen den Palästinenserchef Mahmud Abbas unter Druck.

Foto: Amr Nabil/AP/dapd

Nach der Enthüllung brisanter Verhandlungsdetails aus dem Nahost-Friedensprozess steht die palästinensische Führung nun massiv unter Druck. Dass die stets vertretene harte Linie allmählich verwässert worden ist und die palästinensische Führung zu Kompromissen bereit gewesen sein soll, sorgt in der arabischen Welt vermehrt für Aufsehen.

Arabische Kommentatoren zeigten sich entsetzt über die angeblichen palästinensischen Verhandlungsangebote, wonach die heilige Stätte des Islam künftig nicht in muslimischer Hand gewesen wäre. Die Veröffentlichungen wurden als extrem schädlich für die moderate Palästinenserführung unter Präsident Mahmud Abbas eingestuft. Hardliner in der arabischen Welt sowie ihr Erzrivale, die im Gaza-Streifen herrschende Hamas, hatten Abbas' Fatah schon früher vorgeworfen, sie sei zu kompromissbereit und schwach gegenüber Israel. Die neuen Dokumente vertiefen den Spalt zwischen den ohnehin verfeindeten Palästinenserfraktionen Hamas und Fatah.

Präsident Abbas' politische Macht beschränkt sich faktisch auf das Westjordanland, während der Gaza-Streifen von der radikalislamischen Hamas regiert wird. Die Hamas sitzt allerdings bei den Verhandlungen mit Israel nicht mit am Tisch.

"Verrat am eigenen Volk"

Hamas-Sprecher Osama Hamden sagte am Montag gegenüber Al-Dschasira, die Verhandlungsführer der Palästinenser hätten ihr eigenes Volk betrogen. "Die Führung ist nicht ehrlich und unglaubwürdig. Die Dokumente decken auf, dass sie keine Berechtigung hat, für ihr Volk zu sprechen und zu entscheiden", sagte Hamdan. "Der Friedensprozess ist tot."

"Sie haben Teile von Ostjerusalem verscherbelt - und nach außen hin heucheln sie, man halte an Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staats fest", sagte Hamdan weiter. Anstatt die Interessen der Palästinenser zu vertreten, sei es nur darum gegangen, den USA vertretbare Positionen anzubieten. "Sie haben sich zu Zugeständnissen hinreißen lassen, die am ehesten von USA akzeptiert werden würden."

Für Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri bewiesen die Dokumente, dass die Palästinenserführung heimlich mit Israel kollaboriere. Abbas' Behörde warf er vor, "die gerechte palästinensische Sache zu zerstören".

Die öffentlichen Positionen der führenden Vertreter der Autonomiebehörde stehen in krassem Gegensatz zu den jetzt publizierten internen Berichten. Der "Guardian" sprach in einer Analyse von dem "langsamen Tod des Nahost-Friedensprozesses", der sich in den Berichten widerspiegeln würde.

"Alle Zweifel und Berüchtungen der palästinensischen Bevölkerung und des palästinensischen Widerstands waren berechtigt", sagte Oussama Hamdan, Mitglied des Hamas und Chef der Bewegung im Libanon, in einem Interview mit CNN. Und weiter: "Diese Unterhändler haben keine Glaubwürdigkeit und keine Berechtigung, um im Namen der Palästinenser zu sprechen."

Abbas reagiert überrascht

Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas bemüht sich um Schadensbegrenzung und hatte sich zunächst zurückhaltend auf die Enthüllungsberichte reagiert: "Ich bin überrascht von den Berichten Al-Jazeeras", sagte Abbas nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa am Sonntagabend in Kairo. Man habe die Araber stets bis ins Detail über alle Entwicklungen bei den Gesprächen mit Israelis und USA informiert, sowohl bei bilateralen Treffen als auch durch die Arabische Liga.

"Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, weiß genau, welche Aktivitäten wir bei den Gesprächen mit den Israelis und Amerikanern unternommen haben", sagte Abbas den Angaben zufolge. "Er hat die Führer der arabischen Staaten normalerweise über jede einzelne Entwicklung informiert."

"Ich habe wirklich keine Ahnung, wo Al-Jazeera all diese geheimen Informationen her hat", sagte der Präsident. "Wir verbergen nichts, und unsere arabischen Brüder wissen alles."

Dokumente

Palästinensische Unterhändler sollen nach den nun veröffentlichten Geheimdokumenten im Jahr 2008 weitreichende Zugeständnisse zum künftigen Status Jerusalems gemacht haben. So soll der damalige palästinensische Ministerpräsident Ahmed Korei vorgeschlagen haben, dass Israel alle jüdischen Siedlungen um Jerusalem bis auf eine, Har Homa (zwischen der arabischen Dorf Um Tuba und Bethlehem gelegen), annektieren könne. Selbst der Tempelberg soll zur Verhandlung gestanden haben.

In einem Gespräch mit dem amerikanische Nahost-Unterhändler George Mitchell vom Januar 2010 habe Verhandlungsführer Erekat eingewilligt, für die Kontrolle des Tempelbergs eine "kreative Lösung" zu finden.

Das geht aus einem Dokument hervor, das der arabische Fernsehsender Al-Dschasira am Sonntag veröffentlichte. Insgesamt hat der Sender nach eigenen Angaben 1.600 Dokumente erhalten, die einen Einblick in mehr als ein Jahrzehnt geheimer Verhandlungen zwischen den Palästinensern, Israel und den USA gäben. Laut der britischen Tageszeitung Guardian, die die Dokumente von Al-Dschasira zugeschanzt bekommen hat, machten die Dokumente drei Aspekte deutlich: die Schwäche und zunehmende Verzweiflung der Palästinenserführung - unter dem früheren Präsidenten Jassir Arafat wie auch unter dessen Nachfolger Mahmud Abbas -, die unnachgiebige Verhandlungsposition der Israelis und die "oft herablassende Haltung der US-Politik" gegenüber den palästinensischen Vertretern.

Erekat dementiert: "Bündel von Lügen"

Der Sender kündigte an, er werde in den nächsten Tagen weitere Unterlagen veröffentlichen. Erekat bezeichnete die Papiere kurz nach der Veröffentlichung bei Al-Dschasira als ein Bündel von Lügen. In einem hitzigen Wortwechsel fragte ihn ein Redakteur der in London erscheinenden Zeitung "Al-Kuds al-Arabi", wer ihn oder die Palästinenser-Führung autorisiert habe, "die heiligen Stätten des Islams aufzugeben"?

Die Palästinenser-Regierung hat bislang solch weitgehende Angebote an Israel niemals eingeräumt. Sowohl Israel als auch die Palästinenser erheben Anspruch auf Jerusalem. Der Streit um die Stadt, deren Ostteil Israel 1967 eroberte und später annektierte, ist eines der Kernprobleme des Konflikts in der Region. Erst kürzlich hatte Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas erklärt, es gebe keine Diskussion über Jerusalem. "Jerusalem gehört uns", bekräftigte er.

Erakats Kollege Ahmed Qureia sagte der New York Times, die Dokumente seien manipuliert worden, um die Palästinenserbehörde in Verruf zu bringen. Ähnlich äußerte sich der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Abed Rabbo, im palästinensischen Rundfunk. Al Jazeera verfolge mit der Veröffentlichung ganz bestimmte politische Ziele und habe einige Informationen aus dem Kontext gerissen, um gegen die Autonomiebehörde zu hetzen.

Olmert-Berater: Nahost-Vertrag wurde fast unterzeichnet

Nach Angaben eines Beraters des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert hätten Israelis und Palästinenser vor gut zwei Jahren fast einen Friedensvertrag unterzeichnet. Yaakov Galanti sagte dem israelischen Armeesender am Montag, beide Seiten hätten sich damals in allen Kernfragen des Konflikts geeinigt. Die Einigung habe eine Teilung Jerusalems, die Rückkehr 5.000 palästinensischer Flüchtlinge nach Israel sowie einen Gebietsaustausch umfasst. Olmert habe ein generelles Recht auf Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge jedoch abgelehnt.

Zu der Veröffentlichung geheimer Dokumente über die Verhandlungen durch den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera sagte Galanti, sie enthielten "Ungenauigkeiten". "Ich kenne zum Beispiel keine Anweisung Olmerts, die Palästinenser über den Beginn der Offensive "Gegossenes Blei" (Gaza-Krieg) zu informieren", sagte der ehemalige Medienberater.

Insgesamt wären die Verhandlungen unter Olmert kurz vor einem erfolgreichen Abschluss gestanden. "Ich verstehe bis heute nicht, warum die Palästinenser letztlich nicht unterzeichnet haben", sagte Galanti. Nach Beginn der Annapolis-Konferenz im November 2007 hatten Israelis und Palästinenser ein Jahr lang intensiv verhandelt. Olmert musste jedoch wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten und nach dem Gaza-Krieg zur Jahreswende 2008/2009 wurden die Gespräche nicht wieder aufgenommen. Kurze neue Verhandlungen unter der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung Benjamin Netanyahus scheiterten an dem Streit um den israelischen Siedlungsausbau im Westjordanland.

Galanti empfahl, die Einigung unter Olmert als Basis für weitere Friedensverhandlungen zu verwenden. "Es wird keine andere Lösung geben, und wer dies glaubt, der irrt", sagt er dem Sender.

Reaktion Lieberman

Israels Außenminister Avigdor Lieberman reagierte mit folgenden Aussagen auf die Veröffentlichung: Die Dokumente würden aufzeigen, dass eine auf langfristig konzipierte Interims-Lösung die einzige Möglichkeit sei, um den Konlikt beizulegen. "Selbst die am meisten links ausgerichtete Regierung Olmerts und Livni (Tzipi Livni, damals Außenministerin, Anm.) haben es nicht geschafft, eine friedliche Lösung des Konflikts zu erreichen - trotz der vielen Zugeständnisse", sagte Lieberman gegenüber "Israel Radio" am Montag. Jeder "rational denkende Mensch" werde sich früher oder später eingestehen müssen, dass dies die einzige Lösung sei. Lieberman, Vorsitzender der Partei nationalistisch-rechtspopulistischen "Jisra'el Beitenu", hatte vergangene Woche nach einem Zeitungsbericht der israelischen Tageszeitung Haaretz die Landkarte eines provisorischen Palästinenserstaats entworfen.

Der palästinensische Botschafter in Großbritannien Manuel Hassassian sagte gegenüber der britischen BBC, dass wenn sich die Dokumente bestätigen würden, sie "bedeutende Zugeständnisse" aufzeigen würden. "Aber meiner Meinung nach muss man den gesamten Kontext beachten", sagte Hassassian: "Zu welchen Zugeständnissen wäre Israel in diesem Zusammehang bereit? Niemand redet über die andere Seite." (fin/APA/Reuters, derStandard.at, 24.1.2011)