Feine Stickerei ist Grundlage der festlichen "Ausgeh"-Kleidung in Nigeria. Hier eine Gruppe, die der Lustenauer Stickereifirma Albert Bösch einen Besuch abstattete.

Foto: A. Bösch GmbH

Nord-Süd-Handel einmal anders. Tonnen von Vorarlberger Spitze wurden in den letzten Jahrzehnten nach Nigeria verkauft. Doch leiden die Geschäfte nun unter Finanzkrise und China-Konkurrenz.

Wien – Nigerianische Geschäftsfrauen, pittoresk gekleidet, sind in Hohenems und Umgebung keine Seltenheit. Wenn Großimporteurinnen wie Adenike Adewuyi oder Chief Temitenjo Owolana ihre alljährliche europäische Shoppingtour in Sachen Stoffen absolvieren, weiß die ganze Region: Jetzt werden wieder die Verträge ausgehandelt, die in einem hohen Maße die Auslastung für das nächste Jahr bedingen.

Die besten Stickereimaschinen stehen in Vorarlberg, einer auch im europäischen Vergleich Hochlohnregion. Das Neueste vom Neuen, wahre Wunderwerke der Elektronik, die über Bildschirme gesteuert werden und alle Arbeitsvorgänge von der Musterzeichnung bis zur Applikationsarbeit integrativ vereinen.

Häufig werden auf diesen Maschinen Stoffe für Nigeria gewebt und gestickt: Ballen von Paillettenstickereien, gewagte Lochstickereien, Spachtel-, Ätz-, Reliefstickereien und wie die Techniken alle heißen. In der Regel sind es festliche, farbenfrohe Stoffe.

Seit den 60er-Jahren gibt es diese vorarlbergisch-nigerianischen Wirtschaftsbeziehungen. Damals wurde der westafrikanische Staat unabhängig und versuchte, die in der Kolonialzeit etablierten Handelsagenturen auszuhebeln. Der erste österreichische Handelsrat in Lagos, Heinz Hundertpfund, war ein Vorarlberger und beobachtete, wie beliebt Weißstickereien in der ganzen Region waren. Er legte erste Kontakte, und schon bald florierte das Geschäft.

Seither kleiden die Vorarlberger die Nigerianer ein – zumindest die schmale, reiche Bevölkerungsschicht, die vom Ölreichtum profitiert. Dass das westlichste österreichische Bundesland das viertgrößte Stickereigebiet der Welt und noch immer mit der arbeitsaufwändigen Branche fest verankert ist, daran hat das 160 Millionen Einwohner umfassende Nigeria beträchtlichen Anteil.

In Orten wie Lustenau, Hohenems oder Feldkirch ist es ganz normal, dass nigerianische Importeurinnen, vom Schweizer Flughafen Friedrichshafen mit dem Taxi kommend, in den Stickereibetrieben die neuesten Designs und Muster begutachten und ihre Bestellungen für die kommende Saison abgeben. Diese Frauen – der nigerianische Stoffhandel ist fest in weiblicher Hand – werden Marktfrauen genannt, obwohl sie in der Regel nicht auf Märkten arbeiten, sondern ihre eigenen Geschäfte haben, wahre Großlager für Stoffe. Respektvoll werden sie häufig "Chief", Chef, genannt.

Allerdings haben die Beziehungen durch die Finanzkrise gelitten. Das Verhältnis der lokalen Währung Naira zu Dollar und Euro ist alles andere als günstig und lädt zu Shoppingtouren außerhalb Nigerias kaum ein. Auch ist die internationale Konkurrenz härter denn je. China versucht, den Markt an sich zu reißen, und arbeitet zu konkurrenzlos günstigen Preisen, die manchmal nur zehn Prozent des Preises ausmachen, den die Vorarlberger verlangen. Binnen zehn Tagen kann ein in Asien gefertigtes Stoffplagiat auf dem nigerianischen Markt auftauchen, weiß Markus Riedmann, Obmann der Vorarlberger Stickereiwirtschaft und selbst Exporteur. Da hilft auch nicht viel, dass "Ware, die wir vor 30 Jahren verkauft haben, jetzt noch immer tadellos ist", wie er es stolz formuliert.

Viel Lohnstickerei

Damit die alten Nord-Süd-Geschäftsbeziehungen eine Zukunft haben, wird man in Zukunft neue Wege beschreiten müssen (siehe Geschichte unten), da sind sich alle klar. Alle, das sind immerhin 241 Vorarlberger Unternehmen, die im Stickereigewerbe vertreten sind. 114 davon sind Arbeitgeberbetriebe – sie beschäftigen 640 Mitarbeiter. Der Rest sind sogenannte Lohnsticker: Ein-Personen-Betriebe, die ein, vielleicht zwei Maschinen besitzen und damit für die großen Betriebe zuarbeiten: Beispielsweise lösen sie die Musterdesigns in die exakten Stichfolgen auf. Oder sie säubern die frischen Stickereien von heraushängenden Fäden. Dieses feine Finish ist neben ständiger Innovation der Grund, weshalb die Vorarlberger sich gegenüber chinesischer, koreanischer und indischer Ware weiterhin behaupten.

Fast hundert Prozent der Ware, die im Vorarlberg hergestellt wird, wird exportiert; die Exporterlöse liegen bei 650 Millionen Euro (Zahlen aus 2009). Insgesamt 621 Tonnen Stickereien werden im Jahr hergestellt, eine gigantische Menge Stoff. In 82 Ländern werden die Waren abgesetzt und sind beispielsweise die Basis für die Lingerie des glamourösen US-Unterwäschekonzerns Victoria's Secret. Doch ist Nigeria mit fast der Hälfe der gesamten Produktion der weitaus größte Abnehmer der Vorarlberger Ware. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.1.2011)