Am Anfang von Angelika Reitzers neuem Roman unter uns (Residenz Verlag) steht ein Familienfest mit einem Abschied: Nicht die junge Generation, sondern die Eltern sind es, die ihr bisheriges Leben hinter sich lassen: Das Gasthaus wird verpachtet, den Rollen als Familienoberhäupter verweigern sich die zukünftigen Auswanderer. Das kann in den besten Familien passieren, auch in jenen, die man sich so als "Ersatz" sucht. Wie es bei Aussteiger-Tochter Clarissa der Fall ist. Eigentlich hat unter uns ja keinen richtigen Anfang, kein richtiges Ende und auch weit mehr als nur eine Figur, der die Erzählung folgt. Folgerichtig wechseln die Erzählperspektiven, Angelika Reitzer reiht die Szenen mit harten Schnitten aneinander.

Wenn es aber so etwas wie ein Zentrum gibt, dann ist es Clarissa. Die hatte früher durchaus Erfolg, zumindest genug Geld, aber aus dem Loft ist sie inzwischen via WG-Zimmer in den Keller eines Hauses gezogen. In dem Erbteil wohnen Freunde aus der Medien- und Kulturszene, alle haben irgendwelche Projekte - oder reden zumindest dauernd darüber. Denn prekäre Verhältnisse lauern beruflich wie privat überall, und letztlich wird auch Clarissa aus der Ersatzfamilie aussteigen. Erfolg und Profitstreben regieren unsere kapitalistische Gesellschaft und machen auch vor den privaten Beziehungen nicht halt - weh dem, der da einmal eine Schwäche zeigt, "ausrutscht" oder scheitert. Heute stellt Reitzer ihren Roman über aktuelle Befindlichkeiten vor. (dog, DER STANDARD - Printausgabe, 25. Jänner 2011)