Standard: Generalstabschef Edmund Entacher ist für eine Beibehaltung der Wehrpflicht. Eine Ansicht, die Sie teilen?

Keller: Der Herr Generalstabschef ist deshalb für die Beibehaltung der Wehrpflicht, weil es beim neuen Modell viele offene Fragen gibt. Ich teile diese seine Ansicht. Neben diesen fachlichen Bedenken ist zu berücksichtigen, dass das Bundesheer auch eine staatsbürgerliche und integrative Funktion erfüllt, indem junge Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, mit unterschiedlichen konfessionellem Background lernen, im Team zu leben und zu arbeiten und sich öffentlichen Aufgaben zu widmen, um an einem gemeinsamen staatspolitischen Ziel mitzuwirken. Ich wäre im Falle einer Volksabstimmung nicht davon überzeugt, dass das Ergebnis gegen eine Wehrpflicht ausfällt.

Standard: Gibt es ein adäquates Gegenmodell zur Wehrpflicht?

Keller: Ich bin keiner, der von vornherein apodiktisch sagt: Die Wehrpflichtigenarmee ist sakrosankt. Mitnichten. Es geht darum, dass eine vernünftige und strukturierte Diskussion abläuft.

Standard: Die sehen Sie nicht?

Keller: Zunächst ist es unabdingbar, dass auf breiter Basis die Einigung über die Sicherheitsstrategie erfolgt und erst dann, davon abgeleitet, das Instrument zur Umsetzung dieser Sicherheitsstrategie optimal strukturiert wird. Der Bundespräsident bemüht sich in seinen Wortmeldungen darum, dass eine logische Abfolge der Diskussion zustande kommt. Alle wären gut beraten gewesen, dem Wort dieses erfahrenen Staatsmannes Beachtung zu schenken. Er sagt klipp und klar: Reden wir zuerst über die Sicherheitsstrategie. Wenn dann die Ziele und Aufgaben definiert sind, kann man die Struktur der Instrumente festlegen. Die Debatte wurde losgetreten, wie wenn man ein Pferd von hinten aufzäumt.

Standard: Sie sind Mitglied der Offiziersgesellschaft, die Darabos' Rücktritt verlangt. Eine Entscheidung, die Sie mittragen?

Keller: Ich denke, dass die Äußerung emotional bedingt war. Wenn der Bundesminister selbst immer wieder eine offene Diskussion in Aussicht stellt und dann den Generalstabschef - eine hochangesehene Person - für fachlich begründete Bedenken in der Öffentlichkeit rügt, lässt das natürlich die Wogen hochgehen.

Standard: Ist das der interne Umgangston zwischen dem Minister und seinen Offizieren?

Keller: Die derzeitige Situation hätte man sich mit Sicherheit erspart, wenn man sich mit dem Generalstabschef und den anderen Sektionsleitern beraten hätte. Denn es ist legitim und nicht nur Entachers Recht als Staatsbürger, sondern seine Pflicht als Generalstabschef, auf potenzielle Probleme aufmerksam zu machen.

Standard: Das könnte auch intern geklärt werden.

Keller: Sachliche Kritik muss möglich sein. Es darf nicht sein, dass jemand, der öffentlich in korrekter Weise Stellung bezieht - noch dazu, wie schon erwähnt, zumal der Minister im Vorfeld zu einer breiten Diskussion eingeladen hat - dann Angst vor personellen Konsequenzen haben muss.

Standard: Wie soll es weitergehen?

Keller: Es macht mir Sorgen, dass öffentlich behauptet wird, die Offiziere verweigern sich einer Diskussion. Das ist nicht wahr. Ich fürchte mich nicht vor einem allfälligen Berufsheer. Es braucht aber eine offene Debatte - dazu ist es nötig, dass die Emotionalität aus dem Thema genommen und die Diskussion auf eine professionelle Ebene zurückgeführt wird. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2011)