Gleichzeitig mit dem Kitz-Wochenende erreichten auch die printmedialen Hundertjahrfeiern zur Person Bruno Kreiskys ihren Höhepunkt. Alles, was in den Jahren, Monaten und Wochen zuvor längst geschrieben war, wurde ein vorläufig letztes Mal wiederholt, aber selbst, wo der Gefeierte nur als Vorwand zur Selbstdarstellung seiner Würdiger herhalten musste, war nicht zu verkennen, dass sich der gute Zweck bemühte, die zur Verfügung stehenden Mittel zu heiligen. Der Vorhofkehrer der Macht konnte aus Schicksalsgründen nicht mehr vital in den Choral einstimmen, hat aber rechtzeitig dafür gesorgt, dass, solange die "Kronen Zeitung" erscheint, an ihm kein Weg vorbeiführt. In seinen Erinnerungen eines Journalisten unter dem Titel "Im Vorhof der Macht" hat er für alle Zeiten festgelegt, was zu Kreisky zu sagen ist. Also ward am Wochenende Claus Pándi aufgetragen, die Erinnerungen wieder einmal hervorzukramen, wobei vor allem auf die Wahrung des Gleichgewichts zu achten war. Wo andere an der "Legende Kreisky" strickten, war beim Vorhofschranzen Pándi von einem Treffen der Legenden die Rede: Hans Dichand über Bruno Kreisky.

Das Legendäre an Dichand herauszuarbeiten war leicht, Pándi brauchte nur Dichand zu zitieren. Etwa, wie legendär es Dichand Kreisky gegeben hat, als ich wieder einmal in einem der tiefen Lehnstühle seines Hauses in der Armbrustergasse fast versank und mich ein riesiger Boxer beschnupperte. Da kritisierte ich dem Bundeskanzler gegenüber diese so bewusst betriebene mangelnde Sparsamkeit des Staates. Das half Kreisky, das Legendäre in Dichand klar zu erkennen. Er ist ein großer Zeitungsherausgeber, vielleicht der größte der Nachkriegszeit, zitierte Pándi Dichand, der den "Krone"-Korrespondenten Hans Janitschek zitiert, der wiederum Kreisky zitiert. Und wo es dem Bundeskanzler an solchen Einsichten nicht fehlte, ist auch ihm ein wenig Legendäres zuzubilligen. Die Kanzler-Legende in dem Gespräch: "Hans Dichand hat drei Zeitungen in Österreich groß gemacht. Das macht ihm so leicht keiner nach."

Aber Hans Dichand, der stets recht bescheiden auftrat, verkannte das Legendäre an Kreisky durchaus nicht, etwa beim Mittagessen. Nie fehlten Essiggurken; nicht die kleinen, wie sie bei uns üblich sind, sondern große, eher weiche Znaimer Essiggurken. Diese sah ich also bei Kreisky wieder. Er stammte ja aus der Znaimer Gegend, und als er nach Schweden emigrieren musste, bemerkte er, dass es dort diese Art von Essiggurken nicht gab. So führte er sie ein und machte ein Geschäft daraus, das auch mäßigen Gewinn abwarf. Nicht mit dem Gewinn zu vergleichen, den eine stets recht bescheiden auftretende Legende mit ihrer Zeitung macht.

In der "Presse" konnte es Michael Fleischhacker nicht lassen, sein philosophisches Genie an Kreisky zu wetzen. Das regte Michael Jeannée in der "Krone" derart auf, dass er sofort Franz Vranitzky Post schickte, um ihm mitzuteilen, es sei ka Schand net, hinter dem Durchblick, haha, und der intellektuellen Brillanz, hahahaha, eines Michael Fleischhacker einherzuhinken, aber ein bisserl mehr hätten Sie sich gedanklich schon anstrengen können, als Ihnen der "Presse"-Chefredakteur auf Seite 2 seines Blattes breiten Interview-Raum bot.

In Sachen intellektueller Brillanz ließ Jeannée Vranitzky nichts durchgehen, nachdem er die Haha-Haftigkeit Fleischhackers an dem Satz nachweisen konnte: Kreisky konnte zur politischen Ikone der Moderne nur werden, weil es genügte, den großen gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er eine politische Form zu geben und gleichzeitig den skeptischen Konservativen durch großbürgerlichen Auftritt die Sicherheit zu vermitteln, dass sich alles nur deshalb ändere, weil es bleiben soll, wie es ist.

Wenn Jeannée Fleischhacker dabei durchschaut, wie der Kreisky durchschaut, kann in diesem Kampf der intellektuellen Giganten ein Franz Vranitzky nur zerrieben werden. So sehr hätte er sich gar nicht gedanklich anstrengen können, um auf die Frage der "Presse" -Interviewerin zum Thema Nadelstreifen-Sozialdemokratie eine Antwort zu liefern, die ein Kind des Proletariats wie Jeannée nicht sofort zu einem Protestschreiben veranlasst.

Zum Schluss eine Erfolgsmeldung. 26.000 Leser des Fachmagazins "extradienst" kürten die Top-Journalisten. Als bester Tageszeitungs-Chefredakteur kam der von "Heute" auf 50,3 Prozent. Echt wahr, vollkommen gratis, kein Extradienst! (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 25.1.2011)