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Zurückhaltung ist eine Kunst. Max Raabe textet knapp und bewegt sich ökonomisch: "Dieses ewige ,Danke schön!' hat mich immer gestört. Ich hab mich einfach tief verneigt - als guter Messdiener hat man das ja gelernt."

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Standard: Meine Oma und meine Mutter lassen Sie grüßen. Die mögen, was Sie machen.

Raabe: Oh. Danke, das ist sehr nett.

Standard: Was die beiden nicht wissen, ist, dass Sie bei der Hochzeit von Marilyn Manson und der früheren Pornodarstellerin Dita Von Teese gespielt haben. Wie war das denn?

Raabe: Ach, da wird dann auch nur geheiratet. Er ist ja eigentlich ein sehr zurückhaltender Mensch, sehr höflich. Ich habe ihn aber auch privat nur weiß geschminkt und mit Glasauge erlebt. Die Party war sehr bunt. Verrückte Leute, aber nicht sehr exzessiv, aber grimmig, bis hin zur Tischdekoration.

Standard: Passt so ein Zombie-Ball in Ihre Welt?

Raabe: Nein, aber wenn man mich akzeptiert, wie ich bin, kann ich mich überall wohlfühlen.

Standard: Manson hat wie Sie ein Faible für die Kunst der Weimarer Republik. Was fasziniert Sie abseits der Musik daran?

Raabe: Es war für Berlin die wildeste und experimentierfreudigste Zeit. Was da an Filmen, an Architektur und Malerei entstanden ist, war alles sehr berührend.

Standard: Obwohl viele Ihrer Lieder aus dieser Zeit stammen, verwehren Sie sich gegen Nostalgie - warum?

Raabe: Weil es so was von "Früher war alles besser" hat. Da denkt man an verbohrte alte Leute, die sagen, unterm Kaiser - oder noch schlimmer - war alles besser.

Standard: Die Nazis bedeuteten den Untergang jener Kultur, die Sie so mögen. Da darf man zumindest wehmütig werden.

Raabe: Ja, aber bei Nostalgie denken alle an Federboas, Gamaschen, die wilden 20er-Jahre. Das ist mir zu viel Theater, das lenkt nur vom Text und der Komposition ab. Wenn Sie Barock hören, verlangt auch keiner, dass Sie in Pumphosen und Perücke daherkommen.

Standard: Sie haben ja nicht nur ältere Menschen als Publikum, sondern viele Kinder.

Raabe: Ja, die gibt es, diese Musik hat ja auch was Naives.

Standard: Dazwischen, wie auf dem neuen Album "Küssen kann man nicht alleine", reichen Sie autoerotische Anspielungen wie "Ich würg mich mit dem Schal vor Liebe ..."

Raabe: Die Schlüpfrigkeiten sind ja nur für die zugänglich, die entsprechend verdorben sind. Das sind Kinder ja nicht. Die erfreuen sich an der Einfachheit der Reime. Aber so viel hab ich ja gar nicht zu verbergen. Aber wenn eine Zweideutigkeit gut gemacht ist, ist sie auch charmant.

Standard: Sie haben vor ausverkauften Häusern in Los Angeles und New York gespielt. Populäre Musik aus Deutschland, da kannte man in den USA lange nur Kraftwerk, jetzt Rammstein - und nun kommen Sie. Gibt's da Gemeinsamkeiten?

Raabe: Natürlich kokettieren wir mit dem Bild, das man von uns Deutschen hat. Aber für ein Konzert reicht das nicht. Da kommt die Musikalität hinzu, die Selbstironie. Das schätzen die Leute dann. Rammstein nehmen sich ja auch nicht für voll. Man muss schon sehr negativ eingestellt sein, um da etwas Negatives rauszulesen. Das sind ja auch nur wilde Jungs, die Spaß daran haben, Leuten Angst zu machen.

Standard: In der Geschichte der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie gibt es wenige zurückhaltende Charaktere, Sie hingegen ....

Raabe: ... das ist ja das Exotische. Alle amerikanischen Entertainer springen herum und machen eine Wahnsinnsgeschichte - ich steh nur da und singe. Die sind wie gebannt. Ich erzähle auf Englisch, was ich gleich auf Deutsch singen werde, das funktioniert tadellos.

Standard: Ihre Auftritte als steifer Deutscher, ist das Inszenierung oder ist Ihnen das wesenseigen?

Raabe: Das kam wie von selbst. Ich habe mich einfach hingestellt und gesungen. Auf Konzerten habe ich das Distanzierte dann gepflegt, weil ich den Leuten nicht hinterherlaufen wollte. Dieses ewige "Danke schön!" hat mich immer gestört. Ich hab mich einfach tief verneigt - als guter Messdiener hat man das ja gelernt.

Standard: Sie haben Ihre Kunst einmal als interessante Form der Banalität beschrieben. Da stapeln Sie ganz schön tief.

Raabe: Ich würde das sofort durchstreichen und sagen: ein kluger Umgang mit der Banalität. Aber wahrscheinlich hat da jemand eine Frage gestellt, die mich zu dieser provokanten Antwort verleitet hat. Ich hab ja keine Message, außer dass es ein unterhaltsamer Abend sein soll, bei dem irgendwann ein Kaktus vom Balkon fällt. Das ist schon banal.

Standard: Für keine Message ist Ihre Sprache beispiellos eloquent. Beim neuen Album, für das Sie gemeinsam mit Annette Humpe die Texte geschrieben haben, denkt man nach einmal hören, dass kenne ich jetzt, dabei wird es bei jedem Mal hören noch besser.

Raabe: Schön. Das freut mich wirklich sehr. Ich hab vor zwei Tagen mit Loriot gesprochen, und der hat fast dasselbe gesagt. Er habe die CD jetzt schon dreimal hintereinander gehört, das mache er sonst nie, und er sei dauernd aufgesprungen, habe seine Frau geholt und gesagt: "Hör dir das noch an!"

Standard: Wie verhindern Sie die Geschwätzigkeit elender Popmusik?

Raabe: Das ist sehr oft einfach der musikalischen Phase geschuldet, da passen gar nicht so viele Worte rein. Manchmal muss ich mehr nehmen, dass sich das - rappel-di-papp - ausgeht und zum Rhythmus passt. Aber das ist die ganz banale Handwerklichkeit. In der Einfachheit liegt dann auch die Strenge. Deshalb hat Geschwätz wenig Chance.

Standard: Andererseits haben Sie Stücke von Britney Spears oder Tom Jones interpretiert: eine Form der Perfidie?

Raabe: Das macht einfach Spaß. Da nimmt man, was im Radio rauf und runter läuft und verbiegt das für seinen eigenen Stil. Es fing damit an, dass wir einmal meinten, wir müssten aus harten Rockstücken einen Slowfox oder einen Tango machen. Das haben wir gemacht, irgendwann sagte dann jemand: Lass uns das doch mit aktueller Popmusik machen. Manche Stücke mussten aber erst mit Harmonien unterlegt werden, das kann sonst gar nicht gespielt werden. Das ist so ein dünnes Gerüst, erschreckend! Das kann man mit echten Instrumenten gar nicht umsetzen.

Standard: Im Lied "Ich bin nur wegen Dir hier" nehmen Sie die Rolle eines prominenten Außenseiters ein. Sind Sie das?

Raabe: Ja - vielleicht. Manchmal geht man zu Veranstaltungen, da weiß man, man trifft dort zumindest eine Person, die man gerne mag. Und mit der steht man dann so im Eck herum und schaut. Das kennt jeder. Das gibt's auf jeder Party. So kann man vieles erdulden. Und daraus haben wir ein Liebeslied gemacht. (Karl Fluch/DER STANDARD, Printausgabe, 26. 1. 2011)