Über die Neutralität lässt Werner Faymann nichts kommen. Auch damit könne Österreich im geeinten Europa eine Rolle spielen. Im Spiegelbild: Faymanns neuer Pressesprecher Nedeljko Bilalic.

Foto: Der Standard/Cremer

Unsere Zeiten sind mit jenen Bruno Kreiskys nicht vergleichbar.

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Standard: Sie fahren zum WEF nach Davos, was bringen Sie denn dort an Inhaltlichem ein?

Faymann: Der Economist hat es zuletzt gut auf den Punkt gebracht: Es geht heute um das Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich Märkte und Spekulanten viel rascher erholt als die sozial Schwachen. Die Kürzungsprogramme, die nun überall in Europa gemacht werden, führen dazu, dass diese Kluft tiefer wird. Wie sollen Budgets konsolidiert werden, ohne es auf dem Rücken der Ärmsten auszutragen? Das ist eines der Hauptthemen. Unsere Vorschläge sind: Es geht einerseits um die Modernisierung der Wirtschaft, bessere Bildung und Forschung, um weniger Bürokratie, Stärkung des Standortes Europa. Andererseits geht es um Verteilungsthemen wie die Finanztransaktionssteuer und um strengere Regeln für den Bankensektor.

Standard: "Chancellor Faymann has no personal interest in foreign affairs". Das hat die hiesige US-Botschaft nach Washington gekabelt. Ist Ihr Auftritt in Davos eine Reaktion darauf?

Faymann: Überhaupt nicht. Man beweist internationales Interesse durch politische Arbeit auf allen Ebenen. Dafür würde ich nicht das WEF aussuchen, sondern die Initiative, in ganz Europa Finanzmärkte zu regeln. Dort beweise ich mein Engagement, und wenn ich einmal rückblickend gefragt werde, wo sich der Kanzler besonders engagiert hat, dann sind es genau diese europäischen und internationalen Angelegenheiten.

Standard: Dieser Tage wird der 100. Geburtstag von Bruno Kreisky gefeiert, und es wird immer wieder darauf verwiesen, dass Kreisky halt noch ein Kaliber in der Außenpolitik war. Würden Sie sich auch als solches Kaliber bezeichnen?

Faymann: Unsere Zeiten sind mit jenen Bruno Kreiskys nicht vergleichbar. Es hat natürlich auch eine Menge Kritik an Kreisky gegeben. Ich habe die Diskussionen zwischen 1980 und 1983 nicht vergessen. Aber Kritik ist an einem 100. Geburtstag in der Öffentlichkeit eben geringer ausgeprägt.

Standard: Wird es an Ihrem 100er ähnlich sein?

Faymann: Was stimmt, ist, dass Kreiskys Engagement im Nahen Osten natürlich auch damals kontrovers diskutiert wurde. Das war kein gemeinsames Aufschauen auf die Außenpolitik, das war lange nicht so unumstritten, wie das heute in den Geburtstagsreden zum Ausdruck kommt.

Standard: Aber unumstritten ist, dass er damals außenpolitisch eine große Rolle gespielt hat.

Faymann: Er war sehr engagiert, er ist ein Vorbild. Kreisky gehörte zu jenen Politikern, die den Leuten nicht einreden wollten, man könne alles im Schrebergarten lösen. Dieser Geist Kreiskys spielt heute noch eine Riesenrolle.

Standard: Wer über den Schrebergarten hinauswill, muss außenpolitische Interessen definieren. In besagter Depesche wird auch bemängelt, dass Österreich nicht weiß, was es außenpolitisch will. Was sind die wichtigen außenpolitischen Themen dieser Regierung?

Faymann: Wenn ein Land keine Atomkraft hat, zu Recht wie ich meine, dann ist man besonders verpflichtet, bei erneuerbaren Energien aktiv zu werden. Alles was technologisch in diesem Bereich nützt, müssen wir außenpolitisch voll unterstützen. Die Energiesicherheit ist eine wesentliche Frage der Zukunft. Dasselbe gilt in der Sozialpolitik. Das führt außenpolitisch dazu, dass das gewisse Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Rolle des Staates und damit manchmal der Einschränkung von anderen, etwa der Finanzmärkte, zur Folge hat. Diesen politischen Auftrag leite ich in der Außenpolitik sehr stark ab, weil wir das als Österreicher besonders vertreten.

Standard: Mit Verlaub, aber das ist noch keine Außenpolitik. Wo will Österreich denn Einfluss nehmen?

Faymann: In Europa zum Beispiel. Da sind wir ja - im Unterschied zu Kreiskys Zeiten - mittlerweile in einer Gemeinschaft.

Standard: Aber wo ist - Stichwort Wehrpflichtdebatte - Wiens Beitrag zur EU-Sicherheitspolitik? Was will es gelten und in welchen Regionen? Die Wirtschaft hat zuletzt das Schwarze Meer als Interessengebiet entdeckt, die Politik dümpelt in deren Kielwasser hinterher.

Faymann: Der Balkan ist für uns eine der entscheidenden Regionen. Da trifft mein politisches Interesse an einer friedlichen Entwicklung, die wahrlich nicht in Stein gemeißelt ist, auf meine politische Absicht, Sozialstandards zu steigern. Wenn Menschen im Umfeld großer sozialer Spannungen leben, dann ist das die schlechteste Voraussetzung für friedliche Entwicklungen. Da ist mein politisches Engagement dem Engagement mancher Wirtschaftstreibender sehr nahe. Aber es war nicht so, dass wir deswegen nachzählen, wie viele Firmen dort tätig sind. Auch unser Engagement in der Vermittlung bei Konflikten generell ist doch nicht immer wirtschaftlich ableitbar.

Standard: Seit 1. Jänner werden Soldaten für die EU-Battlegroups gestellt, die auch Frieden erzwingen können. Warum traut man sich nicht, in diesem Europa die Neutralität auch formal aufzugeben?

Faymann: Ich sehe die Neutralität nicht als etwas, was man aufgeben soll. Im Gegenteil, sie ist in unserem Land identitätsstiftend. Man kann die Neutralität und friedenserhaltende Maßnahmen, wie es unsere Soldaten auf dem Balkan oder im Nahen Osten immer wieder bewiesen haben, in Einklang bringen. Jene Länder, die der Neutralität verpflichtet sind, stehen nicht im Widerspruch zu einer aktiven Rolle in Europa. Ich leite die Aufgaben in der Verteidigungs- und Außenpolitik von der Neutralität ab, indem ich eben anderes wahrnehme.

Standard: Friedenserhaltung ist nicht Thema, es geht um Kampfeinsätze ohne UN-Mandat. Das ist ein Widerspruch zur Neutralität.

Faymann: Wir beteiligen uns nur mit UN-Mandat und in einer gemeinsamen Vorgangsweise bei - ich nenne sie so - friedenserhaltenden Maßnahmen.

Standard: War es klug, eine Debatte über den Wehrdienst zu eröffnen, ohne vorher sicherheitspolitisch festzulegen, was das Bundesheer denn können soll?

Faymann: Seit dem Sommer wird die Frage diskutiert, welche sicherheitspolitischen Aufgaben Österreich wahrnehmen soll. Das ist nicht die große Differenz in der Koalition. Es ist klar, dass die Verteidigungsaufgaben in Europa sich verändert haben, das wird in der Sicherheitsdoktrin berücksichtigt. Daher kann man sich schnell der Frage widmen, wie wir das in Zukunft wahrnehmen werden. Durch die allgemeine Wehrpflicht oder ohne sie?

Standard: Gibt es da schon einen Zeithorizont für einen Beschluss?

Faymann: Ja. Wir haben uns vorgenommen, dass wir im ersten Halbjahr die Entscheidung treffen wollen. In den nächsten Wochen wird die Arbeit an der Sicherheitsstrategie abgeschlossen, dann wird das Darabos-Modell mit dem Koalitionspartner abgestimmt, und parallel arbeitet der Sozialminister an den Rahmenbedingungen für das freiwillige Sozialjahr.

Standard: Welche Frage wollen Sie dem Volk stellen?

Faymann: Wenn sich alle einig sind im Parlament, dann bedarf es keiner Volksbefragung ...

Standard: Herr Faymann, Sie kennen die politische Realität doch ...

Faymann: Ich habe deshalb von vornherein die Volksbefragung eingebracht, weil wir nicht bis Mitte des Jahres in unterschiedlichen Positionen verharren dürfen. Wenn die Volksbefragung lautet, hier liegen zwei Modelle vor, mit und ohne allgemeine Wehrpflicht, dann sind die Österreicherinnen und Österreicher aus meiner Sicht sehr gut in der Lage, zu entscheiden.

Standard: Warum tragen auch sozialdemokratische Offiziere das nicht mit? Warum musste Generalstabschef Entacher gehen?

Faymann: Als Regierungschef gestehe ich jedem Minister zu, zu entscheiden, ob sein Vertrauen in eine Führungskraft ausreicht. Daher stehe ich zu hundert Prozent zu Norbert Darabos' Entscheidung. (Alexandra Föderl-Schmid, Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2011)