Regensburg - Auffahrunfälle sind im Straßenverkehr an der Tagesordnung. Der vorsorgliche Gang zum Arzt führt danach schon beinahe obligatorisch zur Verschreibung einer Halskrause, von Medizinern Zervikalstütze genannt. Jetzt haben Wissenschaftler festgestellt, dass diese Stützvorrichtung die eigentlichen Beschwerden bei vielen Betroffenen oft verschlimmern als bessern, teilt der Reportagedienst obx-medizindirekt in einer Aussendung mit. Nur in bestimmten Fällen eines Schleudertraumas sei eine Ruhigstellung des Hals-Nacken-Bereiches wirklich angebracht.
Nacken- und Kopfschmerzen
Ein Auffahrunfall und das dadurch entstehende Schleudertrauma kann eine ganze Reihe von Beschwerden hervorrufen. Neben dem typischen Nackenschmerz sind die meisten Patienten auch von Kopfschmerzen, vegetativen Beschwerden und Halsmuskelschmerzen betroffen. Auch Schwindel, Sehstörungen oder Kreuzschmerzen treten regelmäßig auf. "Viele Patienten werden aber falsch behandelt", kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation (DGPMR).
Zur Behandlung eines Schleudertraumas sei eine Halskrause oft überflüssig. Beim Auffahrunfall wird in der Regel der Kopf zunächst gegen die Nackenstütze gedrückt und anschließend nach vorne geschleudert. Danach sei eine Ruhigstellung des Nackens meistens nicht sinnvoll: "Verantwortlich für die danach entstehenden Schmerzen und Beschwerden ist vor allem eine Dehnung der kleinen Nackenmuskeln. Die Prozesse, die dabei im Muskel ablaufen, sind ganz ähnlich wie beim Muskelkater. Besonders anfällig sind Personen, deren Nackenmuskulatur untrainiert ist", erklärt der Neurologe Bernhard Kügelgen, Leiter des Therapiezentrums Koblenz.
Werde danach der Kopf per Stützte fixiert, geschehe genau das Falsche:
Nach wenigen Tagen der Ruhigstellung tritt zusätzlich zu den vorhandenen
Beschwerden ein so genannter Immobilisationsschmerz auf, der zu
weiterer Bewegungseinschränkung führe und das Leiden oftmals sogar
chronisch werden lässt. Schmerzspezialisten und Orthopäden empfehlen
statt der Halskrause den Einsatz von Schmerzmitteln und möglichst frühes
Training der Halsmuskulatur. Auch die Anwendung von Kältekissen,
gelegentlich auch Rotlicht, Heißluft, Heizkissen oder Fango, könne die
Beschwerden lindern.
Training der Halsmuskulatur
"Nach Abklingen der akuten Schmerzen sollte möglichst frühzeitig mit der krankengymnastischen Behandlung begonnen werden", empfiehlt Matthias Keidel von der Klinik für Neurologie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth eine aktive Gymnastik im häuslichen Bereich. Dazu gehören passive und aktive Bewegungsübungen der Halswirbelsäule, isometrische Übungen und Haltungsaufbau unter Einbeziehung der Schultergürtelmuskulatur. Ergänzend werde Ausdauersport wie Joggen, Radfahren oder Schwimmen empfohlen.
Im Therapiezentrum Koblenz erlernen die Patienten die Techniken der so genannten Schmerzdistanzierung und der Schmerzbekämpfung ohne chemische Mittel. Gleichzeitig werden die Betroffenen zu Muskeldehnungs- und Muskelkräftigungsübungen angeleitet. Nach einem dreiwöchigen teilstationären Programm und dreimonatiger Nachbehandlung waren fast alle Patienten beschwerdefrei", heiß es seitens des Therapiezentrums.
Meist nur Muskulatur betroffen
Eine Ruhigstellung der Halswirbelsäule ist nach Ansicht der Experten der "Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft" allerdings dann angezeigt, wenn Wirbelkörperverletzungen vorliegen. "Doch selbst in diesem Fall ist die Halskrause wenig sinnvoll", heißt es. "Vielmehr müssten die Patienten in solchen seltenen Fällen mit einem Kopfhalteapparat versorgt werden, bei dem der Kopf in einer Fassung sitzt, die vom Schulterjoch getragen wird."
Die häufige Verschreibung von Halskrausen in der Vergangenheit resultiert aus der falschen Annahme, dass bei einem Schleudertrauma eine Verdrehung oder Verrenkung von Gelenken und eine Schädigung des Band- und Gelenkapparates auftritt. Nach neueren Untersuchungen liegen solche Schädigungen aber nur in seltenen Fällen vor. Meist ist ausschließlich die Muskulatur betroffen. An der Sporthochschule Köln wurde bei Versuchen sogar festgestellt, dass selbst bei gesunden Versuchspersonen Schmerzzustände auftraten, wenn diese längere Zeit, etwa durch eine Halskrause fixiert, Muskeln nicht bewegen konnten. (red)