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Umweltminister Berlakovich (re.), Universitäts-Professor Streicher: Energieautarkes Österreich "schwierig, aber machbar". Der Handlungsspielraum ist klein, und es müsste sofort damit begonnen werden.

Foto: APA/Lebensministerium/Strasser

Am Anfang war das Autotelefon. Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) präsentierte ein solches am Mittwoch als Symbol dafür, dass der technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte beispiellos war: Vor 20 Jahren handelte es sich dabei um ein unförmiges, schweres, vor allem aber sündteures Ding, das sich die Wenigsten leisten konnten.

Dann hob Berlakovich sein Smartphone in die Höhe: "Heute hat fast jeder ein solches Handy, mit dem permanent kommuniziert werden kann."

Mit dieser kleinen Szene leitete der Umweltminister seine Pressekonferenz zu einem Thema ein, das klingt wie eine schwer erfüllbare Wunschvorstellung: Österreich soll bis zum Jahr 2050 "energieautark" werden. Konkret meint Berlakovich damit, dass sich die Alpenrepublik ab diesem Zeitpunkt zu einhundert Prozent aus erneuerbaren Energieträgern - Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Geothermie - selbst versorgt. Dies sei zwar "schwierig, aber absolut machbar".

Zwei Szenarien

Untermauern konnte Berlakovich seine Aussagen mit einer brandaktuellen Machbarkeitsstudie von Wolfgang Streicher, Professor an der Universität Innsbruck (Fakultät für Bauingenieurswissenschaften, Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften). Streicher hat dafür zwei Szenarien konstruiert, und zwar ein so genanntes "Konstant-Szenario", das im Wesentlichen von einem gleichbleibenden Energieverbrauch bis 2050 ausgeht, sowie ein "Wachstums-Szenario", das einen Anstieg der Energiedienstleistung von 0,8 Prozent pro Jahr annimmt (was von 2008 bis 2050 einen rund 40-prozentigen Zuwachs bedeuten würde).

Streichers Conclusio: Energieautarkie für Österreich bis 2050 ist sogar ohne Einschränkungen im Verbrauch möglich. Die für die Studie angenommenen Effizienzsteigerungen bedürfen allerdings einer "umfassenden Änderung des Energiesystems und der Form der Energiedienstleistungen". Mit anderen Worten: Der Weg vom Autotelefon zum Handy ist umgelegt auf den Energiebereich noch ein sehr, sehr weiter.

"Team der besten Köpfe"

Berlakovich zeigte sich dessen bewusst. Der Minister plant, ein "Öko-Team der besten Köpfe" zu installieren. Diese Runde an Experten aus dem In- und Ausland solle sich bis April konstituieren, später soll auch die Bevölkerung in den "breiten Diskussionsprozess" eintreten können.

Was die gesamte Umstellung kosten wird, sei seriöserweise nicht zu beantworten, ließ Berlakovich diese Frage offen. Es bedürfe jedenfalls einer großen Anstrengung und eines langfristigen Umbaus des gesamten Energie- und Wirtschaftssystems.

Schwachpunkt der Studie ist, dass Streicher nur die Sektoren "Gebäude", "Mobilität" und "Produktion (Industrie)" für seine Berechnungen heranzog. Ein "Rucksack" an fossiler Energie, der vom Import von Nahrungsmitteln und Gütern herrührt und immerhin 44 Prozent des derzeitigen Verbrauchs ausmacht, wurde nicht berücksichtigt.

Kritik an Förderregimes

Streicher pochte darauf, dass es darum gehe, die politischen Rahmenbedingungen zu setzen. Kritik übte der Universitätsprofessor am herrschenden andauernden Wechsel in den verschiedenen Förder-Regimes von Bund und Ländern: Es sei schlecht, wenn manche Förderungen kurzfristig ausbezahlt, dann ausgesetzt und erst Jahre später wieder aufgenommen werden (wie etwa die Bundesförderung für die thermische Sanierung oder die Förderungen beim Ökostrom, Anm.) - so könnten sich nämlich "keine Industrien entwickeln", hier sei eindeutig Kontinuität gefragt.

Der Handlungsspielraum für die Umsetzung der "Energieautarkie"-Vision sei überdies sehr klein: Die Potenziale der erneuerbaren Energieträger in Österreich müssten dafür weitgehend ausgeschöpft werden. Und: Sobald der Energieverbrauch stärker ansteigt als die für die Studie angenommenen 0,8 Prozent pro Jahr, muss auch die Effizienzsteigerung im selben Ausmaß zulegen.

70 Prozent Einsparungen beim Verkehr

Ohnehin wirken die angenommenen Ziele bereits äußerst ambitioniert: Im Bereich "Gebäude" rechnet Streicher mit möglichen Energieeinsparungen von 50 Prozent gegenüber dem Stand von 2008. Ein völliger Umstieg auf den Passivhaus-Standard im Neubau sowie forcierte hochwertige Sanierungen der Bestandsbauten sollen dies ermöglichen. Erhebliches Potenzial liege hier auch in der Nutzung von Solarthermie sowie der Umgebungswärme (über Wärmepumpen).

Im Verkehrsbereich geht die Studie sogar von Energie-Einsparungen in Höhe von 70 Prozent aus. Voraussetzung dafür wäre ein nahezu völliger Umstieg auf E-Mobilität sowie ein starker Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel.

Leichter machbar scheint hingegen die Umsetzung der Annahmen im Bereich "Industrie": Streichers Wachstums-Szenario erlaubt hier sogar einen gleichbleibenden Energiebedarf, allerdings müssen die fossilen Energieträger zur Gänze gegen Biomasse, Solarthermie und Elektrizität getauscht werden. Das "Konstant"-Szenario rechnet mit Einsparungen von 35 Prozent, was im Wesentlichen den Vorgaben der EU-Energieeffizienzrichtlinie entspreche.

Gemischte Reaktionen

Beobachter aus der Alternativenergie-Szene reagierten am Mittwoch auf Berlakovichs Ankündigungen teils zufrieden, teils skeptisch. "Die Studie bestätigt die vergangenen Mai von den Erneuerbare-Energien-Verbänden präsentierten Szenarien zu einem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien", meinte Stefan Moidl, Geschäftsführer der IG Windkraft. Die Windkraft verfüge über ein bedeutendes Potenzial in Österreich, "die Unternehmen der Branche tragen gerne ihren Anteil zur Erreichung von Minister Berlakovichs Autarkieziel bei". Bei stabilen rechtlichen Rahmenbedingungen könne die Windkraft in Österreich bis 2020 verdreieinhalbfacht werden, wofür wegen der effizienteren Technik die Anlagen nicht einmal verdoppelt werden müssten. Notwendig wäre aber "rasche Klarheit bei den Einspeisetarifen für 2011 sowie eine Novellierung des Ökostromgesetzes noch in der ersten Hälfte dieses Jahres", so Moidl. Wie berichtet, harrt die Absegnung der Einspeisetarife noch der Unterschrift des Umweltministers.

Bei Greenpeace stößt die von Berlakovich geplante Arbeitsgruppe auf Skepsis. "Es gab bereits die Klimastrategie, dann kam die Energiestrategie und jetzt kommt anscheinend ein Autarkiefahrplan. Jeder, der sich in Österreich mit Energiepolitik beschäftigt, darf ununterbrochen in Arbeitsgruppen Platz nehmen", kritisierte Energiesprecher Jurrien Westerhof. "Das Ergebnis ist aber immer das gleiche: Es braucht eine Ökologisierung des Steuersystems, eine echte Sanierungsoffensive und ein ordentliches Ökostromgesetz." Greenpeace fordert Berlakovich deshalb dazu auf, die bisherigen Empfehlungen umzusetzen. "Als ersten Schritt muss er die völlig unzureichenden hundert Millionen Euro Förderung für thermische Sanierung auf eine Milliarde Euro aufstocken. Denn die Einrichtung neuer Arbeitskreise reicht irgendwann nicht mehr, um politische Tatenlosigkeit zu kaschieren", so Westerhof.

Die Umweltsprecherin der Grünen, Christiane Brunner, findet sowohl das Ziel als auch die Analyse "begrüßenswert", entscheidend sei aber, "dass sofort mit der Umsetzung begonnen wird". Interessanter als der genaue Zeitpunkt des kompletten Ausstiegs aus Öl und Gas seien "Zeitpunkt und Intensität des Einstiegs in den Ausstieg. Und darüber schweigt sich der Minister leider aus", so Brunner in einer Aussendung. Mit der "aufwändig produzierten Energiestrategie Österreich" habe man bereits harte Ziele bis zum Jahr 2020 formuliert, "dennoch ist die Umsetzung bislang mangelhaft", so Brunner weiter. Erster Lackmustest für die Glaubwürdigkeit von "Berlakovichs neuerlichen vollmundigen Ankündigungen" sei die Novellierung des Ökostromgesetzes. Die Grüne Umweltsprecherin forderte den Minister einmal mehr auf, seine "Blockadehaltung gegen den Verordnungsentwurf für Ökostrom-Einspeisetarife zu beenden". (Martin Putschögl, derStandard.at, 26.1.2011)