Der Unterschied zwischen Tunesien und Ägypten ist leicht zu erfassen: Dazu braucht man sich bloß die US-Statements zu den Vorgängen in beiden Ländern ansehen. Die Sorge von Hillary Clinton war nicht zu überhören, als sie am Dienstag angesichts der Demonstrationen in ägyptischen Städten die Stabilität der Regierung in Kairo beschwor und "Zurückhaltung auf beiden Seiten" einforderte. Ach ja, und ein Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit hätten die Ägypter auch, sagte die US-Außenministerin.

Präsident Barack Obama sagte in seiner Rede zwar nichts zu Ägypten, aber dass die USA zu Tunesien stünden, "wo der Wille der Menschen sich als mächtiger erwiesen hat als der Befehl eines Diktators" . Nicht nur in Ägypten mag man sich fragen, wie er einen Fall des Verbündeten in Kairo kommentieren würde. Gegen ihn war der immer peinlicher werdende Zine El Abidine Ben Ali politisch ein kleiner Fisch. Der "Wille der Menschen" schön und gut - aber für die Amerikaner ist Ägypten ein entscheidender Pfeiler ihrer Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten. Nicht umsonst ist das Land am Nil der zweitgrößte Militärhilfeempfänger nach Israel.

Diese privilegierten Beziehungen hat sich Ägypten 1979 mit dem Friedensvertrag mit Israel teuer - inklusive anfänglicher Ächtung in der arabischen Welt - erkauft, und genau hier beginnen die US-Ängste. Dass eine Transition zu einem stabilen demokratischen System selbst im kleinen, entwickelten, europanahen Tunesien kein Spaziergang ist, sieht man dieser Tage. Was nach dreißig Jahren Hosni Mubarak am Nil nachkommen könnte, sorgt in Washington für Kopfzerbrechen. Die These, dass durch die tunesische Revolution die Angst vor der Stärke der Islamisten im Nahen Osten als Schauermärchen entlarvt sei, will man lieber nicht in Ägypten getestet haben.

Das heißt keinesfalls, dass es die moderne - und sich auch nach politischer Moderne sehnende - starke Mittelschicht in Ägypten nicht gibt, im Gegenteil. Sie ist an gewisse individuelle Freiheiten - wie ein, wenn auch mit roten Linien versehenes, boomendes Medienwesen oder frei sprechende politische Analysten im Land - sogar mehr gewöhnt als die Tunesier. Aber ob sie stark genug ist, um Ägypten nach einem Umsturz auffangen zu können, ist nicht sicher.

Das Bemühen der ägyptischen Behörden, die Gewalt nicht eskalieren zu lassen, war am Dienstag trotz der Zusammenstöße und Toten erkennbar. Vor Märtyrern hat die Führung Angst. Das Verbot aller Demonstrationen wird jedoch eher solche schaffen als verhindern. Vor allem dürfte nun die Botschaft ankommen, dass der Versuch, sich die Macht und mit ihr die vermeintliche Stabilität für die Post-Mubarak-Ära zu sichern, indem man die politischen Zügel noch fester anzieht, ein Schuss ins eigene Knie war: Die lächerlichen Parlamentswahlen - 494 von 508 Parlamentssitze für die herrschende NDP - sollten garantieren, dass die Partizipation anderer Gruppen in dieser heiklen Phase ausgeschlossen wird. Das geht nicht.

Dabei ist die NDP in der Frage, wie es weitergehen soll, ebenfalls gespalten - keine gute Nachricht, denn es erschwert die Entscheidungen, die Ägypten jetzt für eine Weichenstellung bräuchte. So wird alles einer unberechenbaren Dynamik überlassen, und das ist gefährlich. Revolution ist vielleicht gut, friedliche Transition ist jedoch viel besser.  (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2011)