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Im Zentrum der neuen türkischen Kulturdebatte: das "Monument für die Menschlichkeit" in Kars im Osten des Landes. Regierungschef Erdogan nannte es "monströs", weil zu "unislamisch".

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"Sie wollen mich auf den Boden der Politik ziehen": Bildhauer Aksoy.

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Wie viel Freiheit verträgt das Land? Es geht um Kunst, Alkoholverkauf und Zeitungskommentare.  

Der letzte Stand ist: Sie kommt auf einen Tieflader, und dann ab in den Westen, in den entgegengesetzten Teil der Türkei zur Bucht von Izmir, wo noch die alten Kemalisten regieren, bekanntermaßen große Statuen-Freunde. Mit seinem "Monument der Menschlichkeit" wird Mehmet Aksoy, einer der produktivsten türkischen Bildhauer, nicht mehr froh.

Eine "Monstrosität" nannte der konservativ-muslimische Regierungschef Tayyip Erdogan die 30 Meter hohe unvollendete Statue. Anfang Jänner war das, in einer Rede in Kars, im äußersten Osten des Landes, wo Aksoys Monument steht. Seither debattiert die Türkei über "schöne" und "hässliche" Statuen und die Grenzen der Freiheit in der Gesellschaft. "50 Prozent der Skulpturen, die wir haben, sind ohne ästhetischen Wert", erklärte Erdogans Stellvertreter, Vizepremier Bülent Arinc, und: "Das Leben besteht nicht nur aus Sex und Alkohol."

Aksoys Ärger mit der Statue begann schon vor zwei Jahren, als sich der damalige Bürgermeister von Kars mit der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) überworfen hatte und die zuständige Kommission für Denkmäler in Erzurum den Aufbau der Statue stoppen ließ. Kars liegt an der Grenze zu Armenien. Die ist seit bald 20 Jahren geschlossen, Hoffnungen auf eine Normalisierung haben sich zerschlagen. Mehmet Aksoys "Monument der Menschlichkeit" ist also hochpolitisch. Einerseits. Andererseits sind Erdogans Schmähworte als Anbiederung an die rechtsnationalen Wähler verstanden worden, deren Stimmen er nun will und die keinen großen Sinn in einer Aussöhnung mit den Armeniern sehen.

Gegen den Krieg

"Sie wollen mich auf den glatten Boden der Politik ziehen", sagt Aksoy im Gespräch mit dem Standard über Erdogan und dessen Gefolgsleute. "Das ist nicht mein Interesse. Mein Interesse ist der Widerstand gegen den Krieg. Die Statue ist in einer Sprache, die sie nicht verstehen." Aksoys 2006 begonnenes "Monument der Menschlichkeit" zeigt eine Gestalt, die der Länge nach geteilt ist. "Die Leere zwischen den beiden Hälften soll die Mauer von Vorurteilen darstellen. Es ist ein Monument gegen alle Kriege, man kann es nicht nur auf Armenier und Türken beziehen. Aber es ist noch nicht fertig. Sie schauen auf eine halb vollendete Statue und geben ihre Kommentare ab."

Erdogan kritisierte Aksoys Projekt gewissermaßen als "unislamisch". Die "Monstrosität" sei neben dem Grabmal von Hasan Harakani aufgestellt worden, einem "Märtyrer" aus dem 11. Jahrhundert. Bei seinem nächsten Besuch in Kars hoffe er anstelle der Statue einen "wunderschönen Park" zu sehen, sagte der gläubige Regierungschef. Von da war es für manche Kommentatoren nur ein kleiner Schritt zu den Taliban und den Buddha-Figuren von Bamiyan, die vor zehn Jahren in die Luft gejagt worden waren.

Die Türkei von heute ist eine Gesellschaft mit durchaus neurotischen Züge: Die einen - die Minderheit - haben die Regierung im Generalverdacht, erwarten jede Woche mit dem Freitagsgebet die Geburt eines iranischen Zwillingsstaats oder tun zumindest so. Die anderen - die Mehrheit - können es auch nach mehr als acht Jahren an der Regierung nicht fassen, dass sie im Land den Ton angeben, und suchen fast zwanghaft nach Bestätigung. Wir sind da, wir sind toll, beleidigt uns bloß nicht.

Diese Politik der Null-Toleranz gegenüber Kritik aus der Zivilgesellschaft bekam zuletzt Ahmet Altan zu spüren, Chefredakteur der liberalen Tageszeitung Taraf. Erdogan ließ ihn zu einer Schadenersatzzahlung von umgerechnet 25.000 Euro verklagen, weil er sich durch einen Leitartikel verunglimpft sah. Altan hatte mit seinem Kommentar einen Nerv getroffen. Er warf Erdogan Opportunismus vor, das Schielen auf das rechte religiös-nationale Lager.

Bisher war die Arithmetik anders: Die liberale Intelligenz unterstützte die AKP als Partei der demokratischen Reformen. Jetzt aber wird sie mit einer Debatte über eine Statue konfrontiert, mit strengeren Regeln zum Alkoholverkauf, mit einer Kampagne von TV-Zuschauern gegen eine Historien-Serie, die zu freizügig sei.

Man könne nicht von einer anti-intellektuellen Tendenz im Land sprechen, meint Mehmet Ali Birand, ein anderer führender Liberaler. "Die Türkei war in ihrem Innersten immer konservativ. Jetzt ist es nur sichtbar geworden", sagt Birand. (Markus Bernath aus Istanbul / DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2011)